Samstag, 15. Oktober 2011

Dezembermärchen - Sieg der Götter


Sieg der Götter

Bedrohliche Schatten huschten umher, krochen in Steinspalten, schlüpften durch Ritzen bewohnter Häuser und durchsuchten verlassene Ruinen. Wälder und Täler hatten sie schon nach der Frau abgesucht, doch nichts gefunden. Irgendwo musste sie sich versteckt haben, die Zeit drängte.
Noch eine erfolglose Nacht, dann würde die Wintersonnenwende eintreffen. Wieder einmal hätten sie ihr Ziel nicht erreicht. Jedes Jahr strebte eine finstere Gruppe die Weltherrschaft an. Bisher ohne Erfolg, doch sie gaben nicht auf.

„Los, los, macht schon, es darf doch nicht wahr sein, dass sich diese Göttin unauffindbar versteckt hat. Sie ist hier, ich kann ihre Anwesenheit beinahe riechen. Denkt an die Wonnen, die uns bevorstehen, wenn sie ihr Kind nicht auf die Welt bringen kann, das wird euch bei der Suche antreiben!“
Der Schattenkönig versuchte mehr Druck auf seine Untergebenen zu machen, doch er wusste ganz genau, dass sie bereits ihr Möglichstes taten.

„Wenn du die Anwesenheit von Sulis wahrnehmen kannst, warum holst du sie dann nicht selbst aus ihrem Unterschlupf heraus?“, fragte einer der jüngeren Gesellen.
„Werd erst mal erwachsen, bevor du frech werden darfst. Vor dir muss ich mich nicht rechtfertigen. Nie und nimmer!“
Empört plusterte sich der Anführer auf, so dass der Untergebene in die Dunkelheit zu versinken drohte.
Oh ja, es gab noch Schlimmeres, als Finsternis. Vor dem absoluten ausgelöscht sein hatten sogar Schatten Angst. Diese Strafe konnte der König gegen seine Diener verhängen, wenn ihm danach war. Doch er tat es nur in Ausnahmefällen und wenn seine Autorität angezweifelt wurde.

„Ich bitte um Vergebung. Nie wieder werde ich es wagen Euer Gnaden mit dieser Frage zu belästigen“, beeilte sich der Gescholtene zu versichern. Aus Angst vor der Macht seines Herrschers begann er zu zittern.
„Wir sind wohl alle zur Zeit etwas überreizt“, lenkte der Schattenkönig beruhigend ein.
Er hatte gar nicht vor seinen Diener zu verschlingen, denn was wäre ein Regent ohne Untertanen? Die Drohungen wurden jedenfalls ernst genommen und das beruhigte ihn sehr.

Der Morgen graute, die Suche musste beendet werden. Erschöpft versammelten sich die Schatten in einer eiskalten Grotte. Sie sprachen sich gegenseitig Mut zu, doch das konnte ihre getrübte Stimmung nicht beleben.
Damit seine Getreuen auf andere Gedanken kamen, erzählte der Schattenkönig von der letzten Eiszeit, die sich vor achtzehntausend Jahren in dieser Region ausbreitete.
Damals hielt meterdickes Eis das Land in einem frostigen Würgegriff gefangen. Alles Leben schien erstickt zu sein. Außer unendlicher Ruhe gab es nichts. Älteren Schatten hatten die beißende Kälte noch erfahren dürfen. Staunend lauschten die Jüngeren den Berichten vom verlorenen Paradies.

In der Zwischenzeit bereitete sich die keltische Göttin Sulis in der finstersten Tiefe der Erde auf eine Geburt vor. Diesen Platz wählte sie bewusst aus, denn kein Schatten vermutete jemals, dass sie sich ausgerechnet im Zentrum ihres dunklen Reiches verstecken würde. Heimlich und zur stillsten aller Stunden kam ihr Lichtbaby zur Welt.
Nun musste das Kind nur noch zur Sonne aufsteigen, um dem Himmelskörper frische Kraft zu verleihen. Danach würden die Tage länger werden und die Macht der Schatten war gebrochen. Was tot und verloren schien, hatte nur tief geschlafen.
Am einundzwanzigsten Dezember, der längsten Nacht des Jahres, erfüllte sich die Prophezeiung vom Wiedererwachen allen Lebens

Langsam erreichte Sulis mit ihrem Baby im Arm die Erdoberfläche. Kaum schaute ihr Kopf hervor, wurde sie entdeckt.
Voller Zynismus rief der Schattenkönig
„Welch eine Freude meine Liebe. Erhebe dich und gönne mir deinen Anblick. Jahrtausendelang habe ich nach dir gesucht und jetzt stehst Du plötzlich vor mir. Was für ein Triumph, ich kann es noch gar nicht fassen. Was verbirgst du denn hinter deinem Rücken? Ist das etwa ein Geschenk für mich? Aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Ich meine, so gute Freunde sind wir ja auch wieder nicht.“
Dann fuhr im herrischen Ton fort
„Mach schon, gib den Jungen her!“
„Nein, meinen Sohn bekommst Du nicht!“, verteidigte die Göttin ihr Kind.
„Wer will mich denn daran hindern? Ich sehe weit und breit niemanden, der das könnte“.
„Denk an meine Macht“.
„Ha, ha, ha, deine Macht. Die kannst du vergessen. In all den Jahren habe ich dazu gewonnen, während du es dir hast gut gehen lassen“.
„Geh mir aus dem Weg, oder du wirst im Licht meines Babys vergehen“.
Zu den umherstehenden Dienern meinte der König belustigt,
“Huuu, wie ich mich vor ihr fürchte!", der Schattenkönig und sein Heer, das ihn umringte, brach in höhnisches Gelächter aus.
"Auch einer Göttin sind Grenzen gesetzt, nur weiß sie das noch nicht.
Zeigen wir ihr, wer hier die Macht hat“.

Auf sein Zeichen hin verschmolzen die dunklen Gesellen zu einer dichten Masse, die immer schwerer und undurchdringlicher wurde. Bald würde auch das Licht darin verschwinden.
Sulis erkannte die Gefahr sofort. In ihrer Not rief sie Teutates an. Er war ein richtiger Kriegsgott und konnte ihr beistehen.
„Spar dir die Mühe und rück das Kind endlich raus. Dann kannst du zusehen, wie ich es verschlingen werde und gleich danach bist du dran“, verhöhnte der Schattenkönig die Mutter in Not.

Kaum waren seine Worte verklungen, ertönte ohrenbetäubender Lärm. Ein Feuerring umloderte Sulis und Kind. Entsetzt wichen die dunklen Wesen zurück.
Mit Donnerhall verkündete Teutates:
„Wenn du dich mit jemand anlegen willst, dann stehe ich dir gerne zur Verfügung, aber lass meine Schwester in Ruhe. Wie kannst Du es wagen, Hand an eine Göttin zu legen, du niedrige Kreatur!“
Flammen züngelten empor, sogar der Himmel glühte.
Der Schattenkönig wollte sich ins Erdreich verdrücken, doch er wurde vom Kriegsgott mit gleißenden Blitzen festgehalten.
„Bleib!“, herrschte Teutates den Schattenkönig an. „So schnell kommst du mir nicht davon“.
Wie ein Wurm zappelte der finstere Herrscher in panischer Angst.
„Schau dich nur um, wo sind deine Getreuen jetzt hin?“
Die Geister der Nacht hatten sich verzogen.
„Elendes Geschmeiß! Glaubst die Weltherrschaft an dich reißen zu können und den ganzen Planeten ins Verderben zu stürzen. Niemals hätten wir Götter das zugelassen.“
In Todesangst wimmerte der König um Gnade.
Unerwartet sanft setzte Teutates seinen Widersacher zu Boden.
„Ruf deine Mitstreiter zusammen, ich werde ein Urteil über euch fällen.“
Dem Schicksal ergeben kamen alle Schatten aus ihren Löchern gekrochen. Das erste Mal hatten sie wahre Macht erlebt.

„Weil ihr es gewagt habt meine Schwester und ihren Sohn töten zu wollen, werdet ihr fortan gefangen sein. Nie wieder muss sich Sulis vor euch verstecken. Wo immer Licht ist, werdet ihr ein Abbild von dem, was beleuchtet ist, auf die Erde zeichnen. Egal, ob Tier, Pflanzen oder Gegenstand. Es ist euch nicht mehr erlaubt sich selbstständig aufzurichten. Als Sklaven müsst ihr im Staube kriechen. Von jetzt an, bis in Ewigkeit.“

Mit sich und seinem Richterspruch zufrieden, zog sich Teutates zurück und Sulis begleitete ihren Sohn auf den Weg zur Sonne.
Seitdem wurde dieser Sieg zur Wintersonnenwende ausgiebig von den Menschen gefeiert und wenn die Tage wieder länger werden, dann feiern sie das Ereignis noch heute.

Novembermärchen - Nebelhexe Schattira


Nebelhexe Schattira

Auf der breit gefächerten Treppe des von weißen Wolken umgebenen Luftschlosses, saß ein junges Mädchen. Sein Gesicht barg es in beiden Händen, damit niemand sehen konnte, dass es weinte. Langes, dunkelbraunes Haar fiel über zarte Schultern. Es trug ein fein gewebtes, mit tausend Wasserperlen besticktes Kleid. Kühle Frische umhüllte seine Gestalt.

Drinnen, im Palais, erklang heitere Musik. Das Jahr hatte zum Fest geladen und alle Monate waren gekommen. Nur der November fehlte noch, doch bei diesem fröhlichen Treiben vermisste ihn niemand.
Schattira, das Mädchen, hatte auch eine Einladung erhalten. Als es den Saal betreten wollte, schlug ihm eine feindliche Stimmung entgegen.
„Muss es unbedingt sein, dass du Nebelhexe unsere farbenfrohe Runde mit deinem scheußlichen Grau verunzierst? Hättest du dir wenigsten für diesen Anlass nicht etwas anderes anziehen können? Schau dich nur an, wie du aussiehst. Feucht, kalt und von Grund auf hässlich. Dein Anblick verdirbt mir jede Freude. Verschwinde, so nutzlose Wesen wie du, sind hier nicht willkommen“.
Die boshafte Anfeindung des Monats Mai verletzte das Mädchen zutiefst. Mit gesenktem Haupt verließ es das Gebäude, um sich auf der Treppe nieder zu lassen.
Ohne November war das Jahr unvollständig. Mochte der Mai sagen, was er wollte. Ihm konnte er den Eintritt nicht verwehren. Schattira war fest entschlossen auf den Nachzügler zu warten.
Sie hatte sich sehr auf das Fest gefreut und nun sollte sie ausgeschlossen werden. Im Schmerz versunken fiel ihr gar nicht auf, dass ein älterer Mann sie beobachtete.

„So jung und schon so traurig, das ist nicht gut. Warum gehst du nicht in den Festsaal, singst und tanzt mit den Anderen und erfreust dich deines Seins? Dafür hat das Jahr dich doch eingeladen.“
Schattira schaute erstaunt auf.
Neben ihr stand ein gepflegt aussehender Herr. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug, der hervorragend zu seinem weißen Haar passte. Dicht wachsende Locken umschmeichelten den sorgfältig frisierten Kopf. Kleine Falten umrandeten freundlich blickende, braune Augen.
„Sind sie der erwartete November?“, fragte die Nebelhexe.
Die warmherzig klingende Stimme des Fremden erweckte Hoffnung bei Schattira.
Als er sich formvollendet vorgestellt hatte, wäre ihm das Mädchen am liebsten um den Hals gefallen.
„Dann gehören wir ja zusammen“. jubelte es.
Der November wollte es zum Portal geleiten, doch die Nebelhexe zögerte.
„Da drinnen werde ich nicht geduldet. Meine Grauschleier lassen angeblich alle leuchtenden Farben verblassen“, sagte sie schamhaft. Außerdem sei ich so hässlich, dass mein Anblick den Gästen jede Freude am Fest nehmen würde.“
„Wer hat das behauptet?“, fragte der November ärgerlich.
„Der Mai“
„Und was sagt unser Gastgeber dazu?“
„Den habe ich nicht gesehen.“
„Er hat dich doch eingeladen – oder?“
Zur Bestätigung der Frage, hielt die Nebelhexe eine gold beschriebene Karte in Händen.
„Hier steht, dass er sich freuen würde, mich begrüßen zu können.“
„Na also. Dann gehen wir jetzt auch ins Schloss hinein. Unglaublich, was sich dieser Grünschnabel erlaubt hat. Glaubt wohl etwas Besseres zu sein, dabei ist er noch nicht einmal trocken hinter den Ohren.“
Doch Schattira war nicht davon überzeugt, im Festsaal gern gesehen zu sein. Wenn sie an die prachtvollen Roben dachte, mit denen sich die Begleiter der Gäste schmückten, kam sie sich schäbig vor und das sagte sie auch dem eleganten Herrn November.
„Oh Mädchen, glaube mir, du bist wunderschön.“
„Das sagen sie nur um mich zu trösten.“
„Schau her, ich beweise es dir.“
Sanfter Wind blies das Kleid der Nebelhexe auseinander, so dass es sich im ganzen Schlossgarten ausbreiten konnte.
„So feines Gewebe steht nur einer Prinzessin zu. Noch dazu sind deine Schleier mit unzähligen Perlen besetzt. Noch nie habe ich ein kostbareres Gewand gesehen.“
„Diese Perlen sind doch nur Wassertropfen, da ist nichts Besonderes dran.“
„Komm mit, ich muss mit dir etwas zeigen.“
Weil Monate überall auf der Welt zu Hause sind, können sie sekundenschnell von einem Kontinent, zum anderen wandeln. Schattira musste all ihre Zauberkräfte einsetzen, um mithalten zu können.
Herr November führte sie nach Südamerika, in die Atacama, die trockenste Wüste der Welt. Bis Regen kommt, vergehen sechs, manchmal sogar bis zu zehn Jahre. Jedoch ist die ganze Gegend von dichten Nebelschleiern durchzogen.
„Hier meine Liebe, wirst du wie eine Göttin verehrt. Ohne dein Tröpfchenkleid, gäbe es an diesem Ort kein Leben. Hör auf zu sagen Wasserperlen wären nicht kostbar.“
„Aber ich sehe doch so grau aus und verschlucke alle Farben“, wandte Schattina schüchtern ein.
„Papperlapapp. Raff deine Schleier zusammen, dann sind sie weiß.“
„Jedoch immer noch nicht bunt.“
„So schnell gibst du wohl nicht auf“, stöhnte Herr November.
„Komm mit. Ich habe versprochen dir zu beweisen, dass du schön bist und was ich gesagt habe, das halte ich auch.“
Sie machten vor einem Gotteshaus halt, wo sich Menschen versammelten, die zu einer Hochzeit eingeladen waren. Brausende Orgelklänge kündigten die Braut an. Jeder wollte ihr Kleid sehen und gebührend bewundern.
„Wer von all den Frauen ist deiner Meinung nach die Schönste?“
„Die Braut“, musste Schattira zugeben.
„Bist du dir ganz sicher? Ich meine, wir hätten da Rosa, Lindgrün und, ach ja, da hinten ist noch eine Dame in Gelb gekleidet.“
„Nein, nein, die Braut in Weiß sticht alle anderen aus.“
„Gut, dass das geklärt ist.“, sagte der November zufrieden.
„Können wir jetzt zum Palast zurück? Es ist unhöflich den Gastgeber warten zu lassen.“

Arm in Arm forderte das kühle Paar Einlass. Dieses Mal erschien der Schlossherr selbst an der Tür. Erleichtert hieß er den November willkommen. Die Nebelhexe begrüßte er sogar mit einem Handkuss.
Das Mädchen war glücklich.
Mit verliebten Blicken schaute es tief in die Augen seines klugen Begleiters. Nie wieder wollte es sich vom November trennen.
Als Beide auf dem Parkett einen mystischen Reigen eröffneten, schlossen sich zur Freude des Jahres auch die anderen elf Monate an.

Oktobermärchen - Magie des Gesangs


Magie des Gesangs

Einst lebte im Schloss, am Rande des Elfenwaldes, die liebliche Prinzessin Serafina. Ihre Mutter, die Königin, war spurlos verschwunden als sie noch in der Wiege lag. Niemand ahnte wo sie sich aufhalten könne und auf weitere Fragen erntete sie nur betretenes Schweigen.
Inzwischen war die Prinzessin zu einer jungen Frau herangewachsen, deren hellblaue Augen wie Saphire funkelten. Ihr schlanker, geschmeidiger Körper, die freundlichen Augen und das herrlich wallende blonde Haar, besonders aber ihr liebliches Wesen lenkten von der Tatsache ab, dass ihr Antlitz von einer riesigen Hakennase verunstaltet wurde.

Ihr Vater, der König, liebte sie von Herzen und tat alles, was in seiner Macht stand, um sie glücklich zu machen. Aber jedes Mal, wenn Serafina nach ihrer Mutter fragt, brach so heftiges Schluchzen aus ihm hervor, dass er nicht mehr reden konnte. Sie wollte ihm kein Herzleid zufügen, deshalb sprach sie ihn nicht mehr daraufhin an. Doch manchmal, wenn sie alleine in ihrem Kämmerlein weilte, verspürte sie eine grenzenlose Sehnsucht nach ihrer Mutter.
Im ganzen Schloss gab es kein Bild, keine Roben, oder andere Hinweise auf eine Königin. Das machte Serafina sehr traurig. Zu gerne hätte sie die Kleider ihrer Mutter anprobiert und deren Duft eingeatmet. Allein, um ihre Nähe zu spüren.

Eines Tages, ihr Vater beriet sich gerade mit seinen Ministern, ging Serafina aus dem Schloss und lief tief in den Wald hinein. Der Legende nach sollen Elfen um den dort gelegenen See herumtanzen, doch keiner hatte sie je gesehen.
Serafina stand an seinem Ufer. Sanft streichelte aufkommender Wind ihre Wangen. Von der zauberhaften Umgebung gefangen, hob die Prinzessin an, ein verträumtes Lied zu singen.
Ihre Stimme war so schön, dass sogar die Vögel des Waldes verstummten, um ihr zuzuhören.
Leichter Nebel stieg vom Wasser empor, der zarte Schemen enthielt, die über der Wasserfläche zu tanzen schienen
Staunend beobachtete Serafina den luftigen Reigen und erkannte jene Elfen, an deren Existenz niemand glauben wollte.
Mit ausgebreiteten Flügeln schwebte eine Elfe zu ihr und sprach:
„Gibt es jemand in Deiner Familie, der Dir ähnlich sieht und dessen Lieder die Seelen der Menschen genauso berühren können?“
„Ja“, rief Serafina erfreut. „Das kann nur meine Mutter sein. Ihr Gesang klingt immer noch in meinem Herzen, obwohl sie mich verlassen hat. Wie sehr sie mir fehlt, kann niemand ermessen.“
„Wir haben eine Königin bei uns aufgenommen, deren Ebenbild Du bist.“
„Kann ich sie sehen?“, fragte Serafina hoffnungsvoll.
„Warte hier, gleich wird sie zu Dir kommen.“
Aufgeregt lief Serafina am Ufer hin und her. Ihr ganzes Leben lang hatte sie auf diesen Augenblick gewartet, doch nun fürchtete sie sich davor.

„Serafina, geliebtes Kind, lass dich umarmen!“, rief eine Dame, die, wie aus dem Nichts heraus, erschienen war. Ihre Gesichtszüge wurden von einer riesigen Nase überschattet.
Serafina eilte auf sie zu und sank, weinend vor Glück, in ihre Arme. Ihnen zuzusehen war so überwältigend, dass die feinfühligen Elfen Freudentänze aufführten.
Serafina hob den Kopf und schaute ihre Mutter vorwurfsvoll an.
Dann stellte sie eine Frage, die so lange auf ihrer Seele lastete:
„Mutter, warum hast du uns verlassen? Vater grämt sich so sehr, dass er alle Andenken an dich aus dem Schloss entfernen ließ. Selten habe ich ihn lachen sehen. Nur, wenn er mit mir zusammen ist, zieht etwas Freude in sein Herz ein. Du hast es entzweigebrochen.“

„Ach mein Kind, du ahnst gar nicht, wie gerne ich ihm liebende Ehefrau und treusorgende Mutter gewesen wäre. Allein, es durfte nicht sein.“
Aufkommende Tränen erstickten ihre Stimme. Nachdem sie sich einigermaßen gefasst hatte, sprach sie weiter:
„Auf mir und meinen Nachkommen liegt ein Fluch.
Alles begann während unserer Hochzeit. Wir hatten ein großes Fest vorbereitet, mit viel Musik und Gesang. Unsere Gäste erschienen in prachtvollen Gewändern, Gold und Silbern erstrahlte der ganze Saal. Selbst die Natur trug ein Festtagskleid, denn an diesem Oktobertag leuchteten die Blätter der Bäume in bunten Farben, die das Herz jeden Menschen mit staunender Freude erfüllte. Auf dem feierlichen Höhepunkt trat plötzlich ein schwarz gekleideter Herr an die Seite meines Mannes, dessen missratenen Gestalt Mitleid hervorrief. Er verbeugte sich elegant und fragte, warum nicht auch er zur Hochzeit geladen worden sei. Mir wurde angst und bange, denn sein faltiges Gesicht verzog sich zu einem unheilvollen Grinsen.
Ich konnte gerade noch hören, wie er zur Strafe mein Antlitz mit einem Nasenbein zieren wolle, das alle Schönheit von mir abfallen ließe. Danach verließ er hoch erhobenen Hauptes, das Schloss.
Alle Gäste waren von diesem Vorfall so schockiert, dass niemand es wagte, ihn aufzuhalten. Verwundert fragte ich meinen Mann wer es wagen könne, so ungebührlich mit seinem Herrn zu sprechen, doch der wich entsetzt vor mir zurück. Auch unsere Gäste schrien auf, als ich mich ihnen zuwandte. Nie zuvor war ich diesem Mann begegnet, und doch hatte sich sein Fluch an mir erfüllt.
Es sollte der schönste Tag meines Lebens werden, doch er endete mit Heulen und Wehklagen.

Zu den dringlichsten Aufgaben eines Herrschers gehört, für männliche Erben zu sorgen. Widerwillig teilte der König sein Lager mit mir. Er erfüllte seine Pflicht, aber ich empfand es als so demütigend, dass ich meinem ärgsten Feind nichts Vergleichbares wünsche.
Als ich endlich ein Kind unterm Herzen trug, verließ ich meine Gemächer nicht mehr. Oft saß ich stundenlang am geöffneten Fenster und sang meinen Schmerz in die Welt hinaus. Pfauen aus dem königlichen Garten gesellten sich zu mir und schlugen ihr Rad, um mich zu trösten. Sie waren meine einzigen Freunde im Schloss.
Wenn die Dienerschaft meinen Gesang vernahm, berührte ich auch deren Herz.
Sie murrten wegen des großen Unrechts, unter dem ich zu leiden hatte. Ihrer Meinung nach müsse das Gesicht des Königs entstellt sein, damit jeder sieht, wie hässlich er seine Frau behandelt. Den Fluch habe nicht ihre Herrin heraufbeschworen, sondern er! Darin waren sich alle einig.
Du wurdest geboren und weil du ein Mädchen bist, starb alle Hoffnung auf den erwarteten Nachfolger. Noch mehr Missachtungen konnte ich einfach nicht ertragen, deshalb ergriff ich die Flucht.“

„Weißt du, wer dieser Unhold war und warum er dir das angetan hat?“, fragte Serafina entsetzt.
„Die Feen haben mir mitgeteilt, dass es sich um den einst geachteten Magier Orthwin handelte. Sie erzählten mir auch, wie es zu der Feindschaft zwischen ihm und dem König kam.
Früher lebte der Zauberer in Eintracht mit des Königs Eltern im Schloss und gehörte zum engsten Freundeskreis am Hofe. Solange er königlicher Berater war, erblühte das Land in Wohlstand und Frieden. Das zog Neider an. Sie scharten sich um den jungen Prinzen und redeten ihm ein, dass es unter seiner Würde sei, sich den verbogenen Rücken des Beraters ansehen zu müssen. Solch Anblick sei eine Beleidigung seiner königlichen Herkunft.
Schlechter Rat fällt leider allzu oft auf fruchtbaren Boden.
Kaum wurde mein Mann gekrönt, verbannte er den armen Orthwin aus dem Schloss.
Nun hat er sich in eine feuchte Meereshöhle zurückgezogen, wo ihm giftige Schlangen und allerlei widerliches Getier, das vom Ozean angeschwemmt wird, Gesellschaft leistet. Seine Welt ist dunkel. Kein Sonnenstrahl durchdringt die schlammige Behausung. Er ist immer alleine. Wer ihm begegnet, erzittert vor Angst und Schrecken.“
„Kann er sich denn nicht von diesem üblen Ort befreien?“
„Schon, aber von der erlebten Ungerechtigkeit verbittert, fühlt er sich nur unter diesen Kreaturen wohl. Die ganze Umgebung ist ein Spiegelbild seiner verletzten Seele.
„Ich werde zu ihm gehen.“, beschloss Serafina.
„Nein! Bitte tu das nicht, er wird dich töten!“, schrie ihre Mutter voller Furcht.
„Du sagst doch selbst, dass er immer alleine ist. Nach all dem, was du über ihn erzählt hast, kann ich mir nicht vorstellen, dass er mir ein Leid antun wird. Vielleicht kann ich seine Trübsal ein wenig lindern.
Doch, wenn ich es recht bedenke, zum Besuch bringt man ein Geschenk mit. Was würde ihm, deiner Meinung nach, Freude bereiten?“
Angestrengt dachten beide nach.
„Mir ist eingefallen, was du ihm schenken könntest!“, sagte die Königin nach einer Weile.
„Ich habe dir doch von den Pfauen erzählt, die mich in meiner Einsamkeit getröstet hatten. Als ich das Schloss endgültig verließ, schenkten mir diese Vögel ihre schönsten Federn, damit mir der Abschied von ihnen nicht so schwer fällt. Von solch kostbarem Gut trenne ich mich nur ungern. Eine Feder will ich dir mitgeben und hoffe, dass sie Orthwin besänftigen kann.“

Der Weg zu den Klippen war weit und beschwerlich. Müde sank die Prinzessin zu Boden, als sie ihr Ziel erreicht hatte. Hungrig und geschwächt stimmte sie ein wehmütiges Lied an, das von Anmut handelte, die unbedacht zerstört wurde.
Kaum endete ihre Weise, legte ein schwarz gekleideter Herr seine Hand auf ihre Schulter.
Serafina erschrak und sah gütige Augen, die auf sie nieder blickten.
„Ihr müsst erschöpft sein. Darf ich Euch für diese Nacht eine Bleibe anbieten?“
„Verzeiht, aber ich suche einen großen Zauberer, der hier wohnen soll.“
„Den könnt Ihr immer noch aufsuchen, wenn Ihr frisch gestärkt und ausgeruht seid.“
Das Angebot klang so verlockend, dass die Prinzessin nicht vermochte, es abzulehnen. Sie folgte dem Unbekannten in eine unscheinbare Hütte, die sie zuvor nicht wahrgenommen hatte. Drinnen war es blitzsauber und gemütlich eingerichtet. Nachdem sie Speis und Trank genossen hatte ließ sie sich zu einem Lager geleiten, das mit weißen Linnen bezogen war. Augenblicklich legte sie sich hinein und schlief friedlich ein.
Als sie von Kreischen der Möwen erwachte, stand ein reich gedeckter Tisch in der Mitte des Raumes. Auf einem der Stühle sitzend, wartete der Gastgeber auf ihr Erwachen. Erst jetzt erkannte Serafina seinen krummen Rücken, der ihn zur Missgestalt werden ließ.
„Ihr könnt niemand anders sein, als der Zauberer den ich gesucht habe.“, sagte sie schüchtern. „Warum habt Ihr Euch nicht gleich zu erkennen gegeben?“
„Weil es mir Freude machte Euch zu bewirten. Kommt, setzt Euch zu mir und lasst es Euch munden. Ich habe gleich erkannt, dass Ihr die Tochter der unglücklichen Königin seid. Sagt, was ist Euer begehr?
Verschämt senkte Serafina ihr Haupt
„Meine Mutter wurde von Euch verflucht. Sie fügte niemand ein Leid zu und auch mich trifft Euer Zauber. Habt Erbarmen mit uns, Ihr straft Unschuldige.“

Die offenen Worte der Prinzessin beeindruckten Orthwin sehr. Erst jetzt verstand er, was sein Fluch angerichtet hatte.
Den König wollte er treffen, stattdessen zerstörte er das Leben seiner Gemahlin und ihrer Tochter.
Zögernd ergriff er die Pfauenfeder. Ihre Schönheit erhellte seine Gesichtszüge.
„Ihr seid ein guter Mensch, Prinzessin", hob er an, „liebend gern würde ich Euch helfen, denn ich sehe wohl, Unrecht getan zu haben.
Leider steht es nicht in meiner Macht das Gesetz der Magie zu ändern. Es besagt, dass ein einmal ausgesprochener Fluch, nicht von seinem Urheber zurückgenommen werden kann.
Dennoch will ich Euch raten. Hört, die Befreiung liegt in Eurer eigenen Hand.

„Sagt schnell, was muss ich tun?“, rief Serafina aufgeregt
„Findet einen gesellschaftlich ebenbürtigen Mann, der Euch trotz der mächtigen Nase heiraten will. Das würde den Zauber umkehren. Euer Vater wählte Eure Mutter wegen ihrer vollkommenen Schönheit zur Königin. Weil er mir mein Ansehen nahm, sann ich auf Rache. Sobald Ihr einen hochrangigen Adeligen ehelicht, obwohl Euer Gesicht entstellt ist, heben sich die Kräfte wieder auf und Ihr könnt erstmals Euer wahres Antlitz erblicken.“
Orthwin reichte ihr einen wundersamen Kristallspiegel, dessen Kanten mit geschliffenen Symbolen verziert waren.
„Wenn immer Ihr hineinschaut, wird er wird Euch den richtigen Weg weisen. Mehr vermag ich nicht für Euch zu tun.“, sagte der Zauberer betrübt.

Serafina fühlte sich in ihrem Entschluss bestärkt, das Unheil zu wenden. Freudig singend, wollte sie nach einem geeigneten Partner suchen.
Guten Mutes erreichte die Prinzessin den See im Feenwald.
Die Mutter freute sich sehr, ihre Tochter wohlbehalten vorzufinden. Aber ihre Miene verfinsterte sich sogleich, als sie das einzige Mittel vernahm, welches den Fluch brechen könne.
„Kind, du bist doch noch so jung und hast keine Erfahrung mit Männern. Lass uns bei den Feen bleiben und der restlichen Welt endgültig den Rücken kehren.“, bat sie inbrünstig, doch Serafina protestierte.
„Es ist wohl wahr, ich bin fast noch ein Kind. Kannst du dir vorstellen, was es für mich bedeutet, immer hier verborgen zu leben? Es würde mich vor Kummer verzehren. Ich will Freude haben, singen und tanzen, wie du einst getan. Du wirst mich nicht davon abhalten können!“
Wütend verließ sie den Feenwald.

Die Prinzessin wanderte von Ort zu Ort.
Mitunter erntete sie mitleidige Blicke und die Leute tuschelten hinter ihrem Rücken, wenn sie ihrer gewahr wurden. Sobald das Mädchen aber seine Stimme erhob, gewann es schnell die Herzen seiner Zuhörer. Wie Balsam legten sich ihre Lieder auf verwundete Seelen. Kranke, fanden neuen Lebensmut und Verlassene, wurden getröstet.
Bei der Bevölkerung war es wohl gelitten. Der Ruf einer Heilerin, die Sorgen und Nöte vergessen lässt, eilte ihr voraus.

Den vernahm auch Burggraf von Königswinter. Er litt schrecklich an unerträglicher Schwermut. Die besten Ärzte und Heilkundigen des Landes hatten sich bereits an einer Linderung versucht. Gaukler und Possenspieler tummelten sich zuhauf am Hofe, immer bemüht, ihren Herrn zu erheitern. - Aber alles war bisher erfolglos geblieben.
Als der Burggraf vernahm, dass Serafinas Gesang Herzen heil machen konnte, schöpfte er neue Hoffnung.
Ungeduldig sandte er einen Herold aus, um die Sängerin auf seine Burg zu laden.
Als die Prinzessin davon erfuhr, warf sie erst einen Blick in den Spiegel. Die Symbole funkelten verheißungsvoll, sie würde den rechten Weg nicht verlassen. Bereitwillig nahm sie die Einladung an und betrat ehrfurchtsvoll das prächtige Gemäuer.
Der Graf ging ihr entgegen. Obwohl er schon vorgewarnt worden war, erschrak er dennoch über die riesige Nase, die aus dem Gesicht seines Gastes ragte.
Er fasste sich mit Mühe und sah sich das Mädchen genauer an. Seine Kleidung war staubig und abgetragen, aber ihr Benehmen tadellos und von wohltuender Vornehmheit. Um ihre Herkunft rankten sich Gerüchte. Jedoch hatte niemand in ihr die schmerzlich vermisste Prinzessin vom Elfenwald vermutet.

Als ob die Sonne mit ihren Strahlen dunkle Regenwolken beiseite schöbe, schwand des Burggrafens Bedrückung. Voller Freude bat er Serafina eine Zeit lang bei ihm zu bleiben und ihm Gesellschafterin zu sein. Er wolle sie auch reichlich entlohnen.
„Eines Lohnes bedarf ich nicht, guter Herr", entgegnete das Mädchen, „Ich will gern bleiben und die düsteren Wolken von Eurer Seele vertreiben, trage ich doch selbst eines schweren Schicksals Bürde."
Von nun an wurde die liebliche Prinzessin zum festen Bestandteil des Burglebens. Wie schon in den Orten, die sie durchreist hatte, legte sich der Widerwille gegen ihr verunstaltetes Angesicht recht schnell und bald hatte sie die Herzen Aller gewonnen.
Die Gesichter strahlten, wo immer sie erschien, und der geheilte Burggraf mochte nicht mehr von ihrer Seite weichen.
Als sie eines Abends gemeinsam auf dem großen Balkon standen, von dem aus man weit in das Land blicken konnte, nahm er Serafinas Hand und fiel vor ihr auf die Knie.
„Mein Augenlicht", begann er stockend, „Ich flehe Euch an, werdet meine Frau. Keine Andere als Euch, will ich zur Gemahlin erwählen.“
„Aber meine Nase“, wandte Serafina ein.
„Ach was! Wer sich daran stören will, der mag das tun. Für mich seid Ihr ein Engel, der herabgestiegen ist, um mich aus finsterem Tal zu erlösen.“
Serafina willigte ein und offenbarte das Geheimnis ihrer Abstammung.
Mit Freuden wollte der Graf beim König offiziell um die Hand seiner einzigen Tochter anhalten. Sofort begann er mit den Reisevorbereitungen.

Im Schloss, am Rande des Elfenwaldes, kündigten Posaunenklänge die Ankunft eines wichtigen Besuches an. Gefolgt vom Hofstaat des Burggrafen, leuchteten die Mauern des Palastes, im längst vergangenen Glanz. Unbändiger Jubel kam auf, als der König seine verloren geglaubte Tochter wieder ans Herz drücken konnte. Er hatte im ganzen Lande nach ihr suchen lassen und sie schon für immer verloren gegeben.
Der Antrag des Grafen wurde wohlwollend aufgenommen, die Hochzeitsvorbereitungen konnten beginnen.

Glücklich über die gute Wendung, eilte die Prinzessin zum See im Wald, um ihre Mutter heimzuholen. Die Königin war menschenscheu geworden. Nur Feen konnten sie überreden bei den Feierlichkeiten ihren rechtmäßigen Platz, an der Seite des Königs, wieder einzunehmen.

Die Vermählung fand in der schönsten Kathedrale des Landes statt. Als das Brautpaar sich vor dem Portal küsste, erblickte der Graf Serafinas makelloses Antlitz. Überwältigt hob er beide Arme und rief dem wartenden Volke zu:
„Lobpreiset und frohlocket! Ein Wunder ist heute geschehen und Ihr könnt es bezeugen. Geht in die Welt hinaus und berichtet, welche Gnade Eurer Herrschaft zuteil wurde.
Tosender Beifall brach aus. Die Jahre der Trübsal waren überstanden. Selbst in der kleinsten Hütte erstrahlte das Licht der Zuversicht auf eine bessere Zukunft.

Auch die Königin war fassungslos vor Freude. Sie konnte sie sich nicht satt sehen an dem Spiegelbild, das sich ihr bot. Der König indessen, fiel vor ihr auf die Knie und bat seine Frau um Vergebung. Er habe nicht Recht gehandelt, sie wegen ihres Aussehens zu missachten.
„Erhebt Euch“, meinte sie peinlich berührt. Erst müsst Ihr meine Bedingungen erfüllen, dann wird sich zeigen, ob ich Euch verzeihen kann.
Zerknirscht erkundigte sich der König, welche Bedingungen sie meine.
„Werft Eure schlechten Berater in den Kerker. – Noch heute! Sie haben das Land ausgeraubt und sich die Taschen gefüllt. Ihr Vermögen soll gerecht unter der Bevölkerung verteilt werden. Zudem wünsche ich, dass Ihr den Magier Orthwin wieder in seine ehemaligen Ämter erhebt. Kleidet ihn in Samt und Seide. Wenn er vermag Euch zu vergeben, dann werde ich es auch tun.“

Von diesem denkwürdigen Tag, zehrten noch Generationen. Der kluge Berater Orthwin verhalf der Bevölkerung zu neuem Wohlstand. Das Ansehen des Königspaares wuchs über alle Maßen und als der ersehnte Thronfolger das Licht der Welt erblickte, feierte das ganze Land seine glücklichen Eltern.

Septembermärchen - Im Wunsch gefangen


Amahar, der Urzeitsänger
Udakar, der Schmied
Bodofila, die Maid der Lüfte
Bardaros, im Dienst des Bösen
Idefesom, der Große Geist

Im Wunsch gefang
en

In einem fernen Land, hinter den Wellen des großen Meeres, lebten die Menschen einst glücklich und zufrieden. Herb duftende Kräuter wuchsen auf saftigen Wiesen, die für grasende Tiere Leckerbissen waren. Bunte Blumen umsäumten Flussbetten, in deren klarem Wasser muntere Fischlein sich tummelten.
Auf Feldern und Gärten angebaute Pflanzen gediehen prächtig. Auch die Bäume trugen schwer an reifem Obst oder Nüssen. Es war eine Freude, die Geschenke der Natur im September einzusammeln.
Nach der Ernte bedankten sich die Leute bei Idefesom, dem großen Geist, der sie vor allem Ungemach beschützt hatte. Ihm zu Ehren veranstalteten sie ein großes Fest.
Im Gemeindesaal stand eine runde Tafel, die sich unter der Last von aufgetürmten Feldfrüchten bog. Fröhliche Musik erklang und lud zum Tanzen ein.
Voller Missgunst beobachtete Bardaros, wie sich die Leute amüsierten. Er war ausgeschlossen worden. Da er im Dienst des Bösen stand, konnte er keine Dankbarkeit erwarten. Etwas musste geschehen, damit seine Existenz von den Sterblichen angemessen gewürdigt wurde. Mit einer List machte er sich das ausgelassene Treiben zu nutze.

Am nächsten Morgen, als noch alle Menschen friedlich schliefen, flüstere Bardaros ihnen zu, wie schön es doch wäre die Zeit anzuhalten und genüsslich auf dem Lager noch etwas länger liegen zu können. Nach dem arbeitsreichen Jahr hätten sie sich redlich etwas Ruhe verdient. Sie müssten es sich nur wünschen, er würde sich dem gerne annehmen. Eine Bedingung müsse er jedoch stellen:
Jeder, der an Idefesoms Fest teilgenommen hatte, müsse zur gleichen Zeit Bardaros Hilfe erbeten. Wenn nur einer fehle, könne sein Zauber nicht wirken.

Die Sonne ging auf und tauchte den Himmel in sanfte Pastelltöne. Ein Hahn kündigte den beginnenden Tag an. Verschlafen rieben sich die Leute ihre Augen, als sie aus den Häusern traten. An diesem Tag fiel es ihnen besonders schwer, mit der Arbeit anzufangen. Das nächtliche Angebot war zu verlockend gewesen. Auf den Straßen vernahm man aufgeregtes Reden. Jeder dachte an das Gleiche. Sehr schnell waren die Bürger sich einig.
Sie versammelten sich um den runden Tisch, auf dem noch Reste vom vergangenen Fest lagen und fassten sich an den Händen. Der Älteste von ihnen sprach laut vernehmlich:
„Bardaros erhöre unser Flehen. Wir wünschen uns mehr Zeit für die Familie. Ständig haben wir nur gearbeitet. Bitte hilf uns Bardaros.“

Nachdem der Spruch verklungen war, schauten sich die Menschen unsicher an. Nichts geschah. Kein Donnerhall erklang, keine Blitze zuckten aus heiterem Himmel auf die Erde nieder, keine Windböe rüttelte an wackeligen Fensterläden. Alles schien wie immer zu sein. Enttäuscht ging jeder nach Hause.

Edasne, Widakems Ehefrau, wollte Essen kochen, doch sie konnte im Herd kein Feuer entfachen. So sehr sie sich auch bemühte, die Flammen loderten nicht auf.
„Es ist wie verhext. Versuch du es mal, ich gehe derweil in den Stall, Kühe melken.“
Niemand kann sich vorstellen, welch ein Schreck in ihre Glieder fuhr, als sie den Stall betrat. Kein Geräusch war zu hören, die Tiere standen herum, als seien sie aus Gips gefertigt. Sie fraßen kein Heu und tranken nicht. Ihre Euter waren zwar zur Hälfte gefüllt, doch sie ließen sich nicht melken.
Mit dem leeren Eimer in der Hand stürmte Edasne in die Küche.
„Sag mir, von was wir jetzt leben sollen“, fauchte sie Widakem an.
„Es wird schon alles gut, hab nur Geduld. Irgendetwas findet sich immer. Wenn unser Vieh keine Milch mehr gibt, dann essen wir eben Feldfrüchte.“

Auf der Straße wurden immer mehr Stimmen laut. In jedem Haushalt gab es die gleichen Probleme. Alle Menschen versuchten Hilfe beim Nachbarn zu bekommen, aber der war genauso übel dran.
„Bardaros hat uns reingelegt, nur er kann helfen. Wir müssen ihn erneut anrufen“, entschieden die Bürger.
Plötzlich schrie eine Frau aus Leibeskräften. Sie zeigte zum Himmel.
„Die Sonne! Merkt denn keiner, dass sie nicht weiter zieht?“
„Unmöglich, was schwatzt Du da?“, erhielt sie als Antwort.
Doch alle schauten nach oben.
Tatsächlich. Die Sonne stand noch wie am Vormittag.
Hastig eilten alle Menschen in den Festsaal. Wie zuvor rief der Älteste den Zauberer an:
„Bardaros, ich bitte Dich, mache alles wieder rückgängig. Wir wünschen unser Leben wieder so, wie es heute Morgen noch gewesen war.“
Ein lautes Lachen erfüllte den Raum.
„War mein Zauber etwa nicht gut genug? Ihr habt Zeit gewünscht und die habe ich Euch gegeben. Ist es etwa meine Schuld, wenn die Sonne nicht weicht, kein Feuer zündet und …“
Sein grausiges Lachen ließ jeden vor Furcht erzittern.
„Und kein Wasser fließt?
Eure Pflanzen werden vertrocknen, weil auch die Brunnen versiegen. Noch habt ihr etwas zu essen, doch wie lange hält das vor? Ich werde mit Vergnügen zusehen, wie ihr in Euren Betten darbt, bis der Tod Euch erlöst. Und jetzt stört mich nicht mehr, ich habe etwas Besseres zu tun.“
Verzweifelt weinten die Frauen und ihre Männer schauten grimmig drein. Die Lage war aussichtslos. Das hatten sie sich wirklich nicht gewünscht.

Vor langer Zeit war Amahar, der Urzeitsänger im Ort erschienen und berichtete in seinen Weisen vom Schmied Udakar, der mit seinem gleichmäßigen Hämmern bestimme, wie viele Sekunden es brauche, bevor eine Minute verstrichen sei. Er galt als der wahre Zeitmesser, nach dem sich auch die Sonne richten würde.
Edasne hatte ihm aufmerksam zugehört, währenddessen die Leute ihn fortjagten und als Tunichtgut beschimpften, der sie nur von ihrer Arbeit abhalten wolle.
„Erinnert ihr euch noch, wie schändlich ihr ihn behandelt habt? Dabei sang er wundervolle Lieder.“
Die Angesprochenen sahen betroffen zu Boden und schämten sich für ihre damalige Tat.
„Wo finden wir diesen meisterhaften Schmied und wie können wir mit ihm Kontakt aufnehmen?“, wurde Edasne von allen Seiten her gefragt.
„Eigentlich gar nicht“, bedauerte sie.
„Er lebt in den Wolken und ist für Menschen unerreichbar.“
„Dann rufen wir seinen Namen. Wenn er uns hört wird er wissen wollen, was er für uns tun kann.“
„Das ist keine gute Idee. Dort wo er arbeitet ist es so laut, dass er sogar tosenden Sturm nicht wahrnehmen kann. Zuvor müsste er aufhören zu schlagen. Das wird er aber gewiss nicht tun, denn es ist seine Bestimmung.“
„Warum erzählst du dann von ihm, wenn wir doch nichts tun können? Macht es Dir Freude uns noch mehr zu quälen?“, schnauzten die Leute Edasne an.
„Niemand will Euch quälen, ausgenommen Bardaros. Denkt doch mal nach. Wenn wir auf Wolken keinen Halt finden, kann das doch Bodofila, die Maid der Lüfte für uns tun.“
Erstaunt sah einer den anderen an. Hätten sie damals nur Amahar, dem Urzeitsänger, besser
zugehört. Der Name Bodofila war ihnen unbekannt.
„Was ist, wenn wir damals Recht hatten und nichts von all dem stimmt?“
„Den Versuch, Bodofila anzurufen, wird es wohl wert sein. Oder hat jemand einen anderen Vorschlag?“
Auffordernd sah sich Edasne um. Keiner meldete sich zu Wort.
„Gut, dann lasst mich jetzt alleine. Ich werde mit der Maid sprechen und will niemand in meiner Nähe sehen. Bodofila ist nämlich sehr schüchtern und wenn sie sich bedrängt fühlt, dann kann sie ausgesprochen böse werden.
Glaubt mir, ist sie erst einmal richtig wütend geworden, dann lässt sie kein Haus unbeschadet stehen und knickt Bäume um, als seien sie Strohhalme.“

In der Nähe des Flusses setzte sich Edasne auf einen Stein. Dass es an ihrem Lieblingsplatz so traurig aussehen würde, hatte sie nicht erwartet. In dem wenigen verbliebenen Wasser lagen die Fische wie Kieselsteine auf dem Grund.
Mit Hilfe einer Zauberformel, die Edasne vom Urzeitsänger gelernt hatte, rief sie Bodofila herbei. Wenig später saß eine wunderschöne Frau mit langen blonden Haaren neben ihr.
„Warum hast du mich gerufen Menschenkind?“, wollte sie wissen.
Edasnes Augen waren voller Tränen.
„Sieh doch nur, die Fischlein. Alles Leben ist aus ihrem Körper gewichen.“
„Was ist geschehen?“, fragte Bodofila entsetzt.
„Das ist alles meine Schuld. Bardaros hat versprochen, dass ich mit meinem Mann länger als üblich im Bett liegen bleiben kann, ich habe es mir doch so sehr gewünscht. Aber dass er die Zeit anhält, Verderben über uns alle bringt und sogar diese unschuldigen Lebewesen erstarren lässt, das habe ich nicht gewollt.“
Bodofila sah Edasne schräg von der Seite an.
„Hast du alleine Bardaros angerufen?“
„Nein, wir alle waren es. Aber ich hätte von Amahar, dem Urzeitsänger wissen müssen, wie abgrundtief schlecht der Diener des Bösen ist. Deshalb trage ich alleine die Schuld an allem.“
Edasne weinte bitterlich.

Bodofila überlegte nicht lange.
„Mit Bardaros habe ich sowieso noch eine Rechnung zu begleichen, da kommt mir dieser Zwischenfall ganz gelegen. Vertraue mir, ihm werde ich das Handwerk legen.“
Bodofilas strahlendes Lächeln erwärmte Edasnes Herz.
Die Maid der Lüfte eilte zu ihrem Freund Udakar. Sie erzählte dem Schmied, Bardaros habe es geschafft, sein Hämmern in einem Dorf unwirksam zu machen.
„Was? Meine schwere Arbeit soll nutzlos sein? Na dem werd’ ich’s zeigen!“, schnauzte Udakar wütend. Er heizte das Feuer doppelt so stark an und schlug auf glühendes Eisen bis Funken sprühten.
Auf der Erde tobte ein Gewitter, dass die Sterblichen in Angst und Schrecken versetzte. Nur in der verzauberten Gegend bemerkt niemand etwas davon. Nichts trübte den strahlend blauen Himmel.
Die Maid der Lüfte schwebte übers Wasser, sammelte alle Wolkenberge ein und blies sie vors Angesicht der Sonne.
„He Bodofila, was machst du da, so kann ich doch keine Menschen mehr sehen.“
„Wenn du sie beobachten willst, dann rücke doch einfach zur Seite. Du hast schon viel zu lange hoch am Himmel gestanden. Hörst Du nicht, wie ungeduldig Udakar die Stunden schlägt?“
„Eigentlich hast Du Recht. Außerdem langweilt es mich, immer das Gleiche zu sehen. Sollen dicken Regenwolken ruhig meinen Platz einnehmen, ich bin müde geworden“, antwortete der Himmelskörper.
Vor Freude jauchzte Bodofila. Wenn die Sonne bereit war unter zu gehen, dann würde auch die Zeit aus ihrem Schlaf erwachen.

Als Bardaros merkte, dass sein Zauber wirkungslos geworden war, lief er vor Zorn rot an, wurde dicker und dicker, bis er zu feinem Staub zerplatzte.
Bodofila blies die Überreste auseinander und verteilte sie über die ganze Welt. Seitdem ist das Böse in jedem Land zu Hause. Doch nie wieder findet es zu seiner ehemaligen Stärke zurück.

Dienstag, 9. August 2011

Augustmärchen - Familienbande



Familienbande

Sonnenstrahlen drangen durch dichtes Laub und tauchten die Umgebung in goldfarbenes Licht. An manchen Sträuchern luden reife Früchte zum Naschen ein. Gelbe Wasserlilien umsäumten Flüsse.
Es war August.
Kaum ein anderer Monat ging so verschwenderisch um mit der Fülle von Farben und Gerüchen.
Am warmen Nachthimmel ging der Stern Sirius im Zeichen des Hundes auf. Im Volksmund hatte sich der Ausdruck Hundstage durchgesetzt, doch kaum jemand wusste, warum diese Jahreszeit so genannt wurde. Menschen genossen unbekümmert die heißen Tage des Sommers und weil Schulkinder Ferien bekamen, gönnten sich viele Familien ihren Jahresurlaub.

Mit sich und der Welt zufrieden lag der August in seinem Wolkenbett, als ein Unheil bringender Dämon sich ihm näherte.
Begleitet von heftigen Schauern, zog er über das Land. Nach solchen Regenfällen schwollen sogar heimische Rinnsale zu reißenden Flüssen an. Wütend verschluckten sie Wiesen und Gärten. Hilflos sahen Menschen zu, wie ihre Grundstücke im Wasser versanken.

Entrüstet schrie der Monat den Unhold an: „Hör endlich auf und lass mein Land in Ruhe!“
„Wer will mich an meinem zerstörerischen Werk hindern?“, grinste der Wetterdämon unverschämt. „Du etwa, der dumme August?“, er lachte so laut, dass die Luft vibrierte. Damit wollte er seinen Widersacher einschüchtern, doch es gelang ihm nicht.
„Mach deine Spielchen wo anders. So lange ich für das Wetter verantwortlich bin lasse ich es zu, dass du mir dazwischen funkst! Mir stehen selbst Blitz und Donner zur Verfügung. Beides werde ich einsetzen, wenn ich es für angemessen halte. Verschwinde, dich braucht hier niemand.“
Solche Worte waren dem Wetterdämon noch nie entgegen geschleudert worden. Er wusste auch nicht wie er damit umgehen sollte. Vielleicht war es doch besser sich in Richtung Süden zurück zu ziehen. Dort wurde er wenigstens gefürchtet, oder zumindest respektiert.
„Beruhig dich wieder, wir werden uns doch irgendwie einigen können.“, versuchte er sein Gesicht zu wahren.
„Sag mir einen Grund, warum ich das tun sollte. Wir brauchen keine Katastrophen. Auch ohne die gibt es für uns genug zu tun.“
„Wir? Von wem redest du?“
„Von meinen Brüdern und mich.“
„Kenne ich die?“
„Glaub schon.“
Und dann fing der August an aufzuzählen.
Wie gerufen gesellten sich Juli und September zu ihnen, als sie ihre Namen hörten. Ohne zu fragen blies der Juli dem Regenteufel warme Temperaturen ins Gesicht, die von starken Winden des Septembers verstärkt wurden. Der böse Geist hatte das Gefühl auszutrocknen. Wenn er weiterhin existieren wollte, musste er jetzt aufgeben.
„Das ist nicht fair, ihr seid zu dritt und ich bin ganz alleine!“, jammerte er herum.
„Hat hier jemand etwas von fair gefaselt? Weiß der Kerl eigentlich was das ist?“, rief Juli dem weichenden Dämon hinterher.

Die Brüder standen noch eine Weile beisammen um sich über den errungenen Sieg zu freuen.
„Dieser Typ weiß wirklich nicht, was faire bedeutet. Aber da gibt es noch etwas das er nicht kennt. Eigentlich ist er zu bedauern.“, meinte der August.
„Was? Ich habe mich wohl verhört! Der Wetterdämon vernichtet Ernten, zerstört Häuser und wenn er richtig am wüten ist ertrinken Lebewesen. Aber du bringst es fertig ihn noch zu bedauern. Dir hat er wohl den Verstand aufgeweicht!“, empörte sich der September.
„Denk doch Mal nach.“, verteidigte sich der August.
„Wir sind eine Familie. Auf euch kann ich mich immer verlassen, wenn ich Hilfe brauche. Aber er hat niemand, der ihm beisteht.“
Dankbar umarmte er seine Brüder. „Ich bin so froh, dass es euch gibt.“
Verlegen meinten die angesprochenen:
„Jetzt werde nicht sentimental. Das kannst du alles in der Jahresversammlung zur Sprache bringen. Es wird unsere Wintermonate bestimmt auch interessieren. Können wir dich jetzt alleine lassen?“
„Klar doch. Die Gefahr ist gebannt und wenn ich angenehm warme Temperaturen mit leichten Winden einsetze, dann ist noch genügend Zeit um den angerichteten Schaden zu beheben. Die Sterblichen werden mir helfen. Schaut Mal hinunter auf die Erde. Sie sind schon kräftig am Aufräumen.“, freute er sich.

Die Menschen hatten viel zu tun und waren sehr fleißig. Wohlwollend sah der August ihrem Wiederaufbau zu. Um sie zu unterstützen schenkte er ihnen sein bestes Wetter.

Bauernregeln, die nach langjähriger Erfahrung entstanden, schrien ihn vorwurfsvoll an:
„Augustregen wirkt wie Gift, wenn er die reifenden Trauben trifft.“
Soweit wird er es nicht kommen lassen. Alle Reben streichelte er sanft trocken und redete ihnen gut zu, damit sie sich bei ihm wieder wohl fühlen konnten.
Kurz danach verhöhnte ihn die Regel:
„Trübe Aussicht an den Hundstagen, trübe Aussicht das restliche Jahr.“
Wenn er bei Mutter Natur ein gutes Wort einlegte, dann konnte er auch das verhindern. Pflanzen Menschen und Tiere hatten schon genug gelitten, er wollte ihnen weiteren Kummer ersparen.
Sie wusste dass es nicht seine Schuld war von einem Dämon heimgesucht worden zu sein. Er gab sich doch so viel Mühe die geschlagenen Wunden heilen zu lassen. Vertrauensvoll rechnete er mit ihrer Kraft, die zu einem guten Ende führen würde.

Einige Zeit später konnte man kaum noch erkennen, dass es eine Katastrophe gab.
Mutter Natur hatte ihn nicht enttäuscht. Es glich einem Wunder, wie schnell sich die Pflanzen erholten. Trockene Wiesen ließen neue Ernten zu, so dass die Bauern ihre Scheunen füllen konnten. Unter der Sonne gelangten Früchte zur letzen Reife und in Gärten gedieh allerlei Gemüse. Prächtig blühende Blumen trugen dieses Jahr besonders viel Nektar, den fleißige Bienchen einsammelten.

„Stellt im August sich Regen ein, so regnet's Honig und guten Wein.“, hielt der Monat den
garstigen Bauernregeln entgegen.
Noch einmal wird er auf ihr Geschwätz nicht hereinfallen, denn sie widersprachen sich ja selber.

Froh, seinem Bruder ein wohlgeordnetes und gut gefülltes Haus übergeben zu können, lag er entspannt auf einer Wiese. Aufmerksam beobachtete er weiße Wolken am Himmel vorbeiziehen. Sie waren Boten des Friedens.

Julimärchen - Das Geschenk


Das Geschenk

Als der Juni ins Schloss der Jahresmutter gerufen wurde, musste er sich vor den anderen Monaten rechtfertigen. Mit seiner Absicht Wärme zu verbreiten hatte er es übertrieben. Nicht nur Menschen fiel es schwer die Temperaturen auszuhalten, auch alle Pflanzen litten unter der andauernden Trockenheit. Ihre Fruchtstände konnten sich nicht ausreichend entwickeln, weil ihnen das notwendige Wasser fehlte.
„Du Blödian glaubst wohl aus der Reihe tanzen zu können. Es geht hier nicht nur um dich allein. Wir alle müssen darauf achten, dass sich die Natur voll entfalten kann.“, schimpfte sein Bruder September.
„Wofür steht mir Hitze zur Verfügung, wenn ich sie nicht einsetzen darf?“, verteidigte sich der Beschuldigte.
„Kannst du doch, aber in Maßen. Wir müssen sorgfältig mit unseren Fähigkeiten umgehen. Das hast du nicht getan und jetzt haben wir den Salat. Ähm, es wäre schön wenn wir Salat hätten, aber der konnte bei diesem Klima nicht gedeihen. Ich meine natürlich, dass wir uns jetzt überlegen müssen, wie wir den angerichteten Schaden wieder gut machen können.“
Nun war Juli an der Reihe das Wetter zu bestimmen, deshalb richtete sich alle Aufmerksamkeit auf ihn.
„Damit ich sehen kann was am dringendsten benötigt wird, möchte ich erst eine Bestandsaufnahme machen.“, schlug er vor.
Beifall erfüllte den Saal.
Der Juni stand wie ein begossener Pudel neben ihm und war sich keiner Schuld bewusst. Alle schwärmten doch vom sonnigen Süden, wollten sogar in Afrika Urlaub machen und jetzt, wo er herrlich heißes Wetter den Europäern geschenkt hatte, war es auch wieder nicht Recht. Zornig brüllte er die anderen Monate an.
„Macht doch euren Sch… alleine!“
Der April wollte vermitteln, wurde aber vom Dezember zurück gehalten.
„Lass ihn, der beruhigt sich auch wieder. Jedem fällt es schwer sich Fehler einzugestehen. Jetzt bin ich aber neugierig zu welchem Resultat der Juli gekommen ist.“

Dass kühlender Regen fehlte war offensichtlich. Ausgetrocknete Erdböden zeigten Risse und die Waldbrandgefahr stieg erheblich.
Entschlossen krempelte der Juli seine Ärmel hoch und sammelte überm Meer entstandene Feuchtigkeit ein, die er übers Land scheuchte.
„Autsch, pieks doch nicht so, du tust uns weh“, beklagten sich helle Stimmen.
Verwundert hielt der Juli inne.
Im Wolkengebilde, das er vor sich her schob, schwirrten elfengleiche Wesen herum, die nur aus Tropfen zu bestehen schienen. Ängstlich hielten sie sich aneinander fest. Einfallendes Licht brach sich in tausend Facetten.
Beeindruckt von deren Schönheit fragte der Juli:
„Wer seid Ihr? Ich habe Euch noch nie gesehen.“
„Das ist wieder einmal typisch für Monate.“, meldete sich eine der Schwestern zu Wort.
„Jahr um Jahr begleiten wir Euch, erleben die gleichen Temperaturen, halten denselben Stürmen stand und dann bemerkt Ihr uns noch nicht einmal.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage. Wer, oder was seid Ihr?“
„Wir sind die Seelen des Wassers. Ohne uns gäbe es diese Kostbarkeit nicht.“
„Was tut ihr dann am Himmel? Warum lasst ihr euch nicht auf die Erde fallen, wo ihr sehnsüchtig erwartet werdet?“
„Hast du eine Ahnung, was uns bevorsteht. Früher, da machte es richtig Freude sich dort aufzuhalten. Doch heute? Es ist ja so dreckig da unten, dass wir beschlossen haben zu streiken.“
„Moment Mal, das geht doch nicht! Ihr dürft nicht streiken, oder aus grünen Landstrichen wird eine Wüste werden.“
„Stein- oder Wasserwüst, was hättest du lieber?“, fragte eine der Rednerinnen keck.
„Keins von beiden. Ich mag prächtige Blüten, herb duftende Kräuter und herumtollende Kinder.“
Der Juli beschrieb seine Wünsche so bildhaft, dass sich einige Tropfenseelen vor Rührung nicht mehr in der Luft halten konnten und langsam niedersanken. Ihnen folgten andere, bis erfrischender Nieselregen einsetzte.
Erleichtert sah der Juli, wie alle Lebewesen der Erde aufatmeten.
Doch dann musste er mit ansehen, wie alle Wasserseelen gleichzeitig zu Boden fallen wollten.
„Weg da, mach Platz, ich bin zuerst dran. Dann musst du aber schneller sein.“, stritten sie untereinander.
Schnell entstand aus dem Segen ein noch größeres Unheil, als zuvor.
Flüsse erhoben sich aus ihren Betten und überschwemmten das ganze Land.
„Halt, halt, was macht ihr da. Seid ihr denn nicht eurer Verantwortung bewusst?“, schrie der Juli verzweifelt.
„Verantwortung, für wen?“, fragten die Seelen.
„Für uns alle.“
„Was haben wir davon?“
„Ein Geschenk das ich Euch überreichen werde, wenn ihr aufhört Land in Seen umzuwandeln.“
„Was soll das für ein Geschenk sein?“
„Das werdet ihr schon früh genug sehen.“
„Gib uns erst das Geschenk, dann überlegen wir uns, ob wir es überhaupt haben wollen.“
„Nein. Entweder ihr macht was ich euch sage, oder ihr bekommt gar nichts.“
Die Seelen des Wassers waren von Natur aus neugierig und beratschlagten was zu tun sei. Da alle anwesend sein mussten, damit jede Meinung berücksichtigt werden konnte, vergingen mehrere Wochen in denen kein Tropfen fiel.
Der Juli nutzte die Zeit, um es reichhaltig blühen zu lassen. Bienen schwirrten emsig umher und sammelten Nektar ein, wie sie es in jedem Honigmonat taten.

Schließlich trat eine der Seelen hervor und verkündete:
„Wir sind einverstanden und wollen uns besser benehmen.“
„Ihr hört auf das, was ich euch sage.“
„Treib es nicht zu weit. Wir sind und bleiben eigenständige Wesen.“
Selbstverständlich. Aber ich muss darauf bestehen, dass wir uns in Zukunft absprechen. Da von mir verlangt wird für das Wetter Rechenschaft abzugeben, bin ich auf Eure Mithilfe angewiesen.“
„Vergiss nicht das Geschenk! Was für ein Geschenk hast Du für uns?“, riefen die Geschwister aufgeregt.“
„Geruch. Bis jetzt habt ihr nach Nichts gerochen, das soll sich nun ändern. Wenn immer ein Tropfen auf die Erde fällt, egal worauf, werden ihn Lebewesen riechen können.“
„Du kannst gut reden. Wir haben keine Nasen um zu überprüfen ob es wahr ist, was du sagst.“
„Werft einen Blick auf die Erde, der wird alle Zweifel beseitigen.“

Sie sahen eine Familie, die dabei war Heu zu einzulagern. Schnuppernd drehte der Bauer sein Gesicht dem Wind entgegen.
„Wir müssen uns beeilen, es wird bald regnen.“, sagte er zu seinem Sohn.
Wie kommst du darauf? Der Himmel ist doch strahlend blau.“
„Mag sein, aber ich kann den Regen riechen. Steh nicht so dumm herum. Noch heute müssen alle Ballen im Schuppen sein“

Triumphierend sah der Juli die Wasserseelen an.
„Gerade konntet ihr hören, dass ich nicht zuviel versprochen habe.“
Die Wasserseelen jubelten. Ihre neue Eigenschaft gefiel ihnen und um sie nicht wieder zu verlieren, streikten sie nie wieder.

Junimärchen - Johannisfeuer


Johannisfeuer

Vor vielen Jahren ließ sich am Rand des Dorfes eine junge Frau nieder. Sie hieß Johanna und kannte sich mit den Heilkräften von Kräutern bestens aus. Misstrauen schlug ihr von allen Einheimischen entgegen.
Woher kam die junge Frau? Warum hatte sie sich ausgerechnet bei ihnen niedergelassen? Wieso war sie nicht verheiratet und hatte keine Kinder?
Diese und ähnliche Fragen interessierten die Einwohner des Dorfes brennend.
Da sie aber stets freundlich war und jedem, der ihr begegnete ein Lächeln schenkte, wurde ihre Anwesenheit hingenommen.
Johanna war eine schöne Jungfer. Lange, blonde Haare umschmeichelten ihr schmales Gesicht. Hellblaue Augen und eine wohlgeformte Figur erweckte die Aufmerksamkeit der Burschen. Auch verheiratete Männer buhlten um ihre Gunst, doch keiner konnte sie erlangen.

Die Frauen des Dorfes sahen das mit heimlicher Genugtuung und luden die Fremde in ihre Häuser ein.
Als Johanna erzählte, Teemischungen und Salben herzustellen, erwarb sie sich deren Wohlwollen. Fast jede Mutter kannte noch Hausmittelchen aus alten Zeiten. Manche Weisheiten wurden ausgetauscht und Späße gemacht.
Von da an wurde Johanna bei den Dorffrauen freundlich aufgenommen. Dass ihr Holzhäuschen etwas abseits stand wunderte niemanden mehr. So wohnte sie näher bei den geliebten Kräutern, die sie zu ungewöhnlichen Zeiten pflückte.
Ihre Salben und Tinkturen wurden lieber benutzt, als vergleichbare Medikamente in der Apotheke. Sie waren gut verträglich und oft wirksamer.
Auch die Kinder mochten Johanna. Bei ihr lernten sie verschiedene Vogelarten anhand der unterschiedlichen Stimmen zu erkennen. Jeder Gang in die Natur wurde für die Kleinen zu einem spannenden Erlebnis.

Besonders zu dem Mädchen Klara fühlte sich Johanna hingezogen. denn es war sehr wissbegierig. Blaue Flecken an Armen und Hals verrieten, dass es zu Hause oft geschlagen wurde.

„Wer hat dir das angetan?“, fragte Johanna eines Tages.“
„Mein Vater“; antwortete Klara traurig.
„Er sagt, ich sei wie meine Großmutter. Die hätte auch den Teufel im Leib gehabt. Aber bei ihr wird er ihn herausprügeln. Dies sieht er als Liebesdienst an, für den ich ihm später noch dankbar sein werde“.
Johanna war entsetzt.
„Kanntest du deine Großmutter?“
„Nein. Kurz bevor ich geboren wurde starb sie. Aber oft träume ich von ihr. Wenn ich nachts weine, dann tröstet sie mich und verspricht mir, dass bald jemand kommt, der mein Leben ändern kann.

Johanna ahnte, dass Klaras Großmutter eine von ihnen gewesen war. Ihrem Enkelkind hatte sie übernatürlichen Fähigkeiten vererbt, die dem Vater als Hexerei vorkamen.
„Wirst du mir helfen?“, fragte das Mädchen.
„Dir kann niemand mehr ein Leid antun, denn ich umhülle dich mit einem unsichtbaren Schutz.“, antworte Johanna. Wer immer dich schlagen oder verletzen möchte wird Vergeltung erhalten. Doch ich sage dir gleich, lange kannst du nicht mehr bei deiner Familie bleiben. Dein Vater wird es nicht dulden, dass du für ihn unantastbar geworden bist.

Nachdenklich machte sich Klara auf den Heimweg. Was sie an diesem Tag erfahren hatte war so unglaublich, dass sie meinte, mit offenen Augen zu träumen. Diese schöne junge Frau, der einzige Mensch bei dem sie sich verstanden fühlte, sollte eine Hexe sein?
Aber Hexen waren doch alt, hässlich, hatten einen Buckel und eine dicke Warze auf der gebogenen Nase.
Der Prügelschutz war bestimmt auch eher ein Wunschgedanke, als Realität.

Als sie zu Hause ankam, fragte der Vater mit bedrohlicher Stimme.“
Wo hast du dich so lange herumgetrieben?“
„Ich habe mich nicht herumgetrieben, sondern war bei Johanna.“, antwortete Klara ehrlich. „Wir haben einen wunderschönen Nachmittag verbracht.“
„So, so, bei der Kräutertante warst du. Sie macht alle Weiber im Ort närrisch. Ich verbiete dir, sie noch einmal zu besuchen.“
Das erste Mal in ihrem Leben wagte Klara zu widersprechen.
„Was willst du dagegen tun, wenn ich trotzdem hingehe?“
Zornig hob der Vater die Hand und wollte seiner Tochter einen Hieb versetzen, doch dieses Mal war er es, der mit voller Wucht zu Boden fiel. Außerdem tat ihm seine Hand höllisch weh.
Verblüfft sah er Klara an. Sie stand noch am gleichen Platz, ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen.
Benommen rappelte er sich auf. Bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal zu seiner Tochter um.
„Wir sprechen uns später. Glaub bloß nicht, dass ich mir deine Frechheit bieten lasse.“

Im Gasthaus „Zum Hirsch“, versammelten sich alle ehrenwerten Männer des Dorfes. Johanna muss schnellstens verschwinden, um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Darin waren sich alle einig. So ging es jedenfalls nicht mehr weiter.
Der Apotheker beklagte, dass kaum noch seine Medikamente gekauft wurden und auch der Arzt blickte auf bedenklich viele leere Stühle in seinem Wartezimmer.
Der Lehrer in der Grundschule wusste nicht mehr, was er den Kindern im Naturkundeunterricht beibringen sollte. Sie hatten inzwischen mehr Ahnung, als ihr Lehrmeister.
Die Frauen im ganzen Ort stellten plötzlich Ansprüche und verlangten, dass das Haus ihr Bereich ist, wo sie die alleinige Verantwortung tragen.
Da stand Klaras Vater auf und berichtete, was ihm widerfahren war.
„Das ist der Beweis, auf den wir alle gewartet haben.“, verkündigte der Bürgermeister hocherfreut.
„In unserem Dorf treibt eine Hexe ihr Unwesen. Wir müssen sie vernichten, bevor es zu spät ist.“
„Aber wie sollen wir das tun?“, fragte der Apotheker.
„Ich habe eine ausgezeichnete Idee, aber dafür brauche ich willensstarke Männer.“, äußerte sich der Lehrer.
Bevor er mit der Sprache herausrückte, gab er eine Runde Bier aus.
„Auf die alten Zeiten Mögen sie bald wiederkommen.“, lautete sein Trinkspruch. Dann wurde er ernst.
„Heute haben wir den dreiundzwanzigste Juni, wenn das kein Zeichen vom Himmel ist.“
In der Runde, sah er nur verständnislose Gesichter.
„Habt ihr schon mal etwas vom Johannisfeuer gehört?“
Um seine Bildung zu beweise, meldete sich der Doktor zu Wort.
„Das ist ein Brauchtum bei dem ein Scheiterhaufen errichtet und angezündet wird. Die Verbrennung des Hansl, einer Strohpuppe, soll vor Dämonen, Hagel und Viehschäden schützen.“
„Genau. Johanna ist ein Dämon, vor dem uns das Johannisfeuer schützen wird.“
„Aber wir haben weder Scheiterhaufen, noch eine Strohpuppe, die darauf verbrannt werden kann.“
„Solche Dinge brauchen wir nicht. Unser Dämon lebt bereits in einem Holzhaus. Mit Balken verschließen wir Fenster und Tür, damit die Kräuterhexe nicht hinaus kann. Ein Ballen Stroh reicht aus. Wenn wir ihn gut verteilen, brennt alles wie Zunder.
Nun ziert euch nicht und macht mit. Noch diese Nacht werden wir das teuflische Treiben los.“, drängte der Lehrer.
„Das ist ein Verbrechen, ihr geht eindeutig zu weit! Ohne mich. Was wollt ihr demnächst mit meiner Tochter machen?“ Klaras Vater ergriff panische Angst.
„Mach dir mal keine Sorgen. Klara ist ein liebes Kind, ihr werden wir nichts tun. Vielleicht bist du auch nur ausgerutscht“, beruhigte der Bürgermeister den aufgeregten Mann.
„Noch ein Bier für meine Freunde, dieses Mal bezahle ich“, rief er dem Wirt zu.

Das Feuer erhellte den Nachthimmel, als Johannas Häuschen brannte. Jene, die sowieso nicht schlafen konnten gingen hinaus, um nachzusehen, was passiert war. Es verschlug ihnen den Atem, als sie die Männer um lodernde Flammen tanzen sahen. Zum Löschen war es viel zu spät, doch alle Frauen wurden alarmiert, damit sie mit eigenen Augen sahen, welches ungeheuerliche Verhalten in ihrem Dorf möglich war.

Klara bekam von all dem nichts mit. Beim Frühstück fragte das Mädchen nach ihrem Vater, der sonst immer an der Stirnseite des Tisches saß.
„Der schläft noch seinen Rausch aus. Wenn er wach ist, habe ich ein ernstes Wörtchen mit ihm zu reden.“
Das Mädchen bekam es mit der Angst zu tun.
„Was ist passiert?“
„Es sieht so aus, als hätten er und seine wahnsinnigen Freunde Johannas Haus angesteckt.“
„Ist sie schlimm verletzt?“
„Weiß nicht, niemand hat sie bisher gesehen.“
Klara stieß einen schrillen Schrei aus. Nichts hielt sie mehr zurück. In Windeseile erreichte sie den Platz, wo gestern noch das Holzhäuschen stand. Ein stechend beißender Geruch nahm ihr fast den Atem.
Vor den verkohlten Überresten brach das Mädchen schluchzend zusammen.
„Nicht traurig sein“, sagte eine vertraute Stimme.
Wie vom Blitz getroffen fuhr Klara herum und blickte in Johannas Augen. Erleichtert fiel sie ihr in die Arme.
„Wie konntest du den Flammen entkommen?“, stammelte das Kind
„Die Männer waren nicht gerade leise, als sie vor meinem Haus standen. Ich wusste sofort was sie im Schilde führten. Also verwandelte ich mich in einen Junikäfer und flog unbemerkt davon.“
„Du kannst dich verwandeln?“, fragte das Mädchen erstaunt.
„Hexen können noch viel mehr, aber wir wenden unsere Fähigkeiten nur im Notfall an.“
Dann wurde Johanna ernst.
„Ich sagte dir bereits, dass du nicht mehr lange zu Hause leben kannst. Schau nur, was sie mir antun wollten.“
„Wo soll ich denn sonst hin?“ Tränen glänzten in Klaras Augen.
„Bleib einfach bei mir. Ich verspreche dir, dass du alles lernen wirst, was du wissen musst und auch das, was du möchtest.
„Oh ja“, jubelte das Mädchen. Bringst du mir auch bei, wie ich mich verwandeln kann?“
„Das kommt ganz darauf an, welche Fähigkeiten du besitzt.“

Arm in Arm gingen sie dem Horizont entgegen und wurden von niemand mehr gesehen.

Montag, 8. August 2011

Maimärchen - Die Maikönigin


Die Maikönigin.

Das Schloss der Maikönigin Marijella sah wundervoll aus. An seinen Mauern kletterte Blauregen hoch, dessen prächtige Blüten das Herz eines jeden erfreute.
Wenn die Sonne sanfte Wärme verbreitete, schlenderte die Maikönigin gern im Garten umher und genoss den Anblick des zart rosa blühenden Perlmuttstrauchs, der Sträucher, an denen dicht wachsende Schneebälle hingen, des duftenden Flieders und bewunderte die aufbrechenden Knospen der Kirschbäume. Doch nicht nur Bäume und Büsche fanden ihre Beachtung, auch die kleinen, unscheinbaren Pflanzen mochte sie gern.
Ganz besonders liebte sie die im angrenzenden Buchenwald versteckten Maiglöckchen.
Vögel bauten an ihren Nestern und zwitscherten munter. Auch das Summen der Bienen verriet emsiges Leben.
Marijella war glücklich über die Geschenke der Natur.
Auch ihr Volk wusste den Mai zu schätzen. Es gab viel zu tun, aber während der Arbeit hatten die Menschen immer ein Lied auf den Lippen.

Diese heitere Stimmung war Zakistro, dem Herrscher des Nachbarlandes, ein Dorn im Auge.
In seinem Reich fürchtete sich die Bevölkerung vor dem großen Zauberer. Er regierte mit unnachgiebiger Strenge, weil es ihm Freude machte, andere leiden zu sehen.
Selten drang Kinderlachen an sein Ohr. Sogar Vögel, die sein Land überflogen, verstummten.
Im Laufe der Zeit war sein Herz hart wie Stein geworden. Es ließ keine Gefühle mehr zu.
Wenn er jedoch ausritt und einen Blick in das Reich der Maikönigin warf, spürte er, dass ihm etwas fehlte. Dann wurde er zornig und ließ seinen Unmut an jedem aus, der ihm begegnete,
Aber nachts, wenn er sich zur Ruhe begab, quälte er sich mit dem Wissen herum, dass er etwas nicht hatte, das andere besaßen.

Eifrig suchte er in seinen Zauberbüchern nach einem Spruch, der ihn von diesem Mangel befreien würde, doch er fand nichts Passendes. Wütend schleuderte er die alten Meisterwerke in eine Ecke.
Dabei landete eines der Bücher weit geöffnet im Schmutz, und als Zakistro es aufheben wollte, stand auf einer Seite geschrieben:
Wen die Maikönigin küsst, dessen hartes Herz wird erweichen, damit Friede und Zufriedenheit wieder in ihm Einzug halten kann.
Es gab auch eine Bedingung.
Dieser Kuss müsse aus freiem Willen gewährt werden, keine Drohung dürfe gegen sie ausgesprochen werden, sonst sei der Zauber unwirksam.
Jahrhunderte lang hatte Zakistro gebraucht, um seine Herzensgüte loszuwerden. Er wollte sie auch nie wieder erlangen. Aber, wenn er so tat, als würde er tief bereuen, hätte die Maikönigin gar keine andere Wahl, als ihm zu helfen. Dann kam es darauf an, wessen Zauberkräfte stärker waren. Es würde einen Kampf zwischen Gut und Böse geben. Der Zauberer jubelte. Er war sich sicher, mit Tricks und Lügen dieses Duell für sich zu entscheiden.
Da er weder missgestaltet noch hässlich war, würde die Maikönigin ihm diesen magischen Kuss geben und damit ihr Schicksal besiegeln.

Am folgenden Tag stand Zakistro ungewöhnlich früh auf. Er zog sich die schönsten Kleider an, kämmte sein Haar, bis es glänzte, und sprühte sich mit wohlriechenden Düften ein. Als er sein Spiegelbild betrachtete, war er sehr zufrieden. Heute würde er der Schönste sein.
Wenig später hielt er eine Schatulle in der Hand. Ihr Inhalt konnte sogar eine Königin schwach werden lassen, dachte er.

Die Untertanen der Maikönigin waren sehr erstaunt, als sie den großen Zauberer erblickten. Sie hatten schon so viel von ihm gehört, dass sie ihn gleich erkannten. Trotz seiner Jugend sagte man ihm nach, dass er abgrundtief schlecht sein solle. Sein Stolz war bekannt, auch dass er schwarze Farben liebte. In seiner Nähe wurde es kalt. Dies war ein untrügliches Zeichen. Selbst bei strahlender Sonne begannen die Menschen zu frieren, wo immer er auftauchte.
Als Marijella ihn sah, trat sie ihm entschlossen entgegen.
„Was verschafft mir die Ehre Eures Besuchs?“, fragte sie ohne Umschweife.
Zakistro verneigte sich tief vor der Königin.
„Verzeiht, Eure Majestät. Erweist mir die Gunst, dies mit Euch unter vier Augen zu sprechen.“
Marijella sah sich um. Tatsächlich umringten sie neugierige Zuhörer.
„Wie Ihr wünscht. Zwar habe ich keine Geheimnisse vor den Bewohnern meines Landes, jedoch, da Ihr hier fremd seid, erlaube ich Euch, mich in die Bibliothek zu begleiten. Dort sind wir ungestört.
Sie bot dem Zauberer ihren Arm. Gemeinsam betraten sie das Schloss.
Kaum waren sie allein, überreichte der Zauberer ihr sein Geschenk. Im Kästchen lag eine Kette aus funkelnden Diamanten. Königin Marijella warf einen kurzen Blick darauf und legte es achtlos zu Seite.
„Sagt mir, Meister der Magie, was ist Euer Begehren?“
Zakistro fiel es schwer, seinen Wunsch zu äußern. Er redete allerlei um den heißen Brei herum, lobte die Schönheit der Königin und wie weise sie regieren würde. Vergeblich suchte er nach den richtigen Worten.
„Erspart Euch die Schmeicheleien. Sagt gerade heraus, was Ihr wollt.“, unterbrach ihn Marijella.
„Fast nichts, nur einen Kuss von Eurer Gnaden. Wenn Ihr mir den gewährt, kann ich wieder Mitleid empfinden.“
Die Maikönigin wich einen Schritt zurück. Sie wusste zwar von ihrer Fähigkeit, musste sie jedoch nie zuvor anwenden.
„Seid Ihr sicher, dass Ihr Euch von Grund auf ändern wollt, oder gibt es nicht genügend Frauen in Eurem Reich?“
„Frauen haben wir genug, aber nur Ihr könnt mir ein feinfühliges Herz geben.“
„Mir wurde berichtet, dass Ihr Eure Untertanen schlecht behandelt. Schaut Euch bei mir um. Hier werdet Ihr nur zufriedene Leute finden. Wir haben nichts gemeinsam. Ihr bürdet mir eine große Verantwortung auf. Nach meinem Kuss wird in Eurem Reich nichts mehr so sein, wie es war“
Da fiel Zakistro auf die Knie.
„Ich flehe Euch an. Mein erkaltetes Herz bringt Unglück über das ganze Land. Es liegt an Euch, dies zu ändern. Wie könnt Ihr an meiner Entschlossenheit zweifeln?“
„Nun denn. Wenn es unbedingt sein muss, bringen wir es schnell hinter uns.“
Der Zauberer spitzte triumphierend die Lippen. Doch als Königin Mariella ihm in die eiskalten Augen sah, konnte sie darin Gedanken lesen und erkannte Zakistros schändliche Absicht.
Bei diesem Kuss würde sie all ihre Zauberkräfte einsetzen müssen. In diesen schutzlosen Momenten konnte er Macht über sie erlangen und ihr ganzes Volk unterwerfen.
Marijella stieß einen Schrei aus und stieß sie ihn weit von sich.
„Elender Betrüger! Niemals werdet Ihr Euer Ziel erreichen. Wagt es nicht noch einmal mich zu belästigen und verlasst auf der Stelle mein Land!“
Zornig deutete sie auf das Kästchen mit dem Schmuck.
„Vergesst Euer Geschenk nicht, ich habe keine Verwendung dafür.“
„Das werdet Ihr noch bitter bereuen“, drohte Zakistro und machte sich auf den Heimweg.

Diese Demütigung wird ihr noch leid tun, zürnte Zakistro und rief seine getreuen Untertanen herbei, die „gestrengen Eismänner“.
Nacheinander wollten sie die Maikönigin aufsuchen und ihr Blütenmeer zerstören.
Am zwölften Mai suchte Pankratius das Land der Königin heim:
„Wenn's an Pankratius friert, so wird im Garten viel ruiniert“, dichtete er voller Schadenfreude und überzog die Erde mit einer dicken Raureifschicht.
Dies war die erste Missetat, weitere sollten folgen. Danach würde sich die Königin zweimal überlegen, ob es nicht doch besser sei, den Wunsch ihres Regenten zu erfüllen.

Am dreizehnten Mai versuchte Sevatius sein Glück. Er brachte starken Nachtfrost. Als er sein Unwesen trieb, warnten die Bäume ihre Königin:
„Servatius' Hund der Ostwind ist – hat manches Blümlein totgeküsst.“

Marijella weinte bittere Tränen. Am Tag darauf ging sie in den Garten und redete mit den Pflanzen. Sie erklärte ihnen, woher die plötzliche Kälte kam und was Zakistro von ihr verlangt hatte.
„Bleibt standhaft und macht Euch keine Sorgen“, trösteten sie die Blumen, obwohl der Frost ihnen arg zusetzte. „Unsere Wurzeln sind gut geschützt, wir haben schon Schlimmeres überstanden. Unsere Blüten kommen wieder, und dann sehen wir noch prächtiger aus.“

Nach Servatius musste das Land der Königin noch Bonifatius und die kalte Sofie ertragen.
Als auch die keinen unwiederbringlichen Schaden anrichteten, gab Zakistro endgültig auf.
Bald verkündete das fröhliche Klingeln der Maiglöckchen, dass die Kälte überstanden war.
Der Zauberer nahm seine Niederlage zähneknirschend hin. Im nächsten Jahr würde er es aufs Neue versuchen.


Freitag, 5. August 2011

Aprilmärchen - Ein schwieriger Geselle


Ein schwieriger Geselle.

Zwölf Kinder waren zum großen Familientreffen geladen worden, und alle erschienen mit unterschiedlichen Erwartungen.
Keines konnte sagen warum es diese seltsame Unruhe verspürte. Jedes ahnte, dass sie nie wieder alle zusammen sein würden.

Die Jahresmutter war eine Dame im zeitlosen Alter. Liebevoll hatte sie sich um jeden Einzelnen ihrer Söhne gekümmert, doch nun war es an der Zeit, sie in die Welt zu entlassen.
Sie hatte einen großen Gabentisch vorbereitet, auf dem alle möglichen Wetterlagen friedlich nebeneinander schlummerten. Sie mussten erst aktiviert werden, bevor sich ihre Wirkung entfalten konnte.
Die Begrüßung verlief herzlich, alle freuten sich über die unerwartete Einladung.
Es wurde viel geredet. Doch als die Brüder feststellten, wie unterschiedlich sie über ihre Zukunft dachten, gerieten sie darüber in Streit.
Da sprach die Jahresmutter mit lauter Stimme:
„Ihr seid jetzt alle erwachsen, deshalb trennen sich unsere Wege. Ich war gern eure Mutter und hoffe jedem das beigebracht zuhaben, was er für sein Leben braucht.“
Sie zeigte auf den Tisch.
„Hier finde ihr alles, um eurer Aufgaben zu erfüllen. Jeder kann sich das nehmen, was ihm gefällt. Greift unbekümmert zu, von allem ist reichlich vorhanden.
Dies werden meine letzten Geschenke an euch sein. Geht sorgsam mit ihnen um und macht mir keine Schande.“

Neugierig näherten sich Januar und Februar dem Gabentisch. Die beiden konnten sich gut leiden, oft genug steckten sie ihre Köpfe zusammen. So viele Wetterlagen an einem Ort hatten sie noch nie gesehen. Unschlüssig schweiften ihre Blicke umher. Bald fanden sie Schnee, Eis und frostige Nächte. Doch was sollten sie mit brütender Hitze anfangen? Ein bisschen Sonnenschein steckten sie sich ein, außerdem noch Wind und Regen. Zufrieden zogen sich die Wintermonate zurück. Damit würden sie gut über die Runden kommen.
Die anderen machten es ihnen nach. Eine Entscheidung zu treffen und sich etwas Passendes auszusuchen, war gar nicht so einfach. Da sie aber jede Art von Wetter mitnehmen konnten, wählten sie Situationen aus, die ihnen keiner zugetraut hätte. So fanden auch gravierende Ereignisse, wie Überschwemmungen und Wirbelstürme ihre wohlwollenden Abnehmer.

Bald hatte sich jeder Monat mit allem eingedeckt, was er begehrte. Nur der April stand noch unschlüssig herum. Er konnte sich einfach nicht entscheiden.
Zuerst raffte er alle auf dem Tisch liegenden Wetter zusammen. Doch weil er damit nur den Spott seiner Brüder herausforderte, wurde er wütend und warf alles wieder auf seinen ursprünglichen Platz zurück.
„Sei doch vernünftig“, wollte der August vermitteln.
„Du kannst nicht Sturm und Nebel gleichzeitig benutzen. Starker Wind reißt die Nebelbank auseinander“
„Ich will aber beides“, trumpfte der April auf.
„Wie sollen trockene Böden entstehen, wenn Du jede Menge Regen eingepackt hast?“
„Ich will sie trotzdem haben.“
„Einerseits nimmst du frostige Nächte, und dann wiederum sonnenwarme Tage mit aufblühenden Blumen. Hast du keine Angst, dass Kälte die zarten Knospen zerstört?“
„Und wenn schon. Dann fege ich eben mit Hagel alle abgestorbenen Pflanzenteile wieder hinweg.“
„Du machst Scherze - Aprilscherze.“
Hinter seinem Rücken hörte er einen Bruder lästern:
„Lass ihn doch. Die Sterblichen haben dafür ein Sprichwort. Sie sagen:
Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“
In seiner Aufregung, verstand der April nur das letzte Wort. Prompt verlangte er:
„Himmelreich, das will ich auch.“
Übermütig sprang er auf den Tisch und wühlte alle Geschenke durcheinander. Eine Weile später rief er nach seiner Mutter.
„Ich kann das Himmelreich nicht finden, wo hast du es versteckt?“
Die Jahresmutter wusste nicht, wovon die Rede war. Hilfesuchend wandte sie sich an die anderen Anwesenden. Der Juni machte ein eindeutiges Zeichen, dass er den April für einen Spinner hielt, und klärte sie über das Missverständnis auf.
Kopfschüttelnd wies sie ihren Sohn zurecht.
„Junger Mann, bei dir scheinen meine Erziehungsmethoden fehlgeschlagen zu sein. Du benimmst dich immer noch wie ein ungezogenes Kind. Dich kann ich nicht allein lassen, deshalb werde ich März und Mai bitten, auf dich aufzupassen.
Was sehe ich da? Du hast ja noch gar keine Gaben eingesammelt. Komm, gemeinsam suchen wir uns eine schöne Zusammenstellung für dich aus.“
Mit dem unterschiedlichsten Wetter beladen, musste der April seinen Platz zwischen den vernünftigeren Frühlingsmonaten einnehmen. Diese waren zwar von der Entscheidung ihrer Mutter nicht begeistert, konnten ihr aber keinen Wunsch abschlagen.

Nachdem alles zur Zufriedenheit der Jahresmutter geregelt war, konnte sie sich endlich zurückziehen und ihren Söhnen die Verantwortung übergeben.
Vier Wochen lang sollten sie sich ungestört austoben, mussten aber beim nachfolgenden Monat Rechenschaft ablegen. So war ihrer Meinung nach die Zusammenarbeit mit der Natur gewährleistet.
Als der April an der Reihe war, sann er lange über seine Möglichkeiten nach. Wie konnte er es den Menschen heimzahlen, dass sie ein Himmelreich besaßen, er aber nicht. Immer noch gab sich der April unberechenbar. Vernünftig sein, war ihm viel zu langweilig. Er wollte Spaß haben.
Sah er zum Beispiel einen Sterblichen, wie der Beete seines Gartens zur Aussaat vorbereitete, dann zog er eine Wolke heran und ließ es kräftig regnen. Völlig durchnässt, mit zentimeterdicken Schlamm an den Schuhen klebend, musste der arme Mensch seine Arbeit aufgeben.
Danach konnte die Sonne ruhig wieder scheinen.
Anderen Leuten blies der April Hut oder Mütze vom Kopf. So bald sie sich danach bückten, flog ihre Kopfbedeckung weiter weg, bis sie in einer nahe gelegenen Pfütze landete.
Er amüsierte sich köstlich über seine gelungenen Streiche, die keinen großen Schaden anrichten.
Menschen waren seine bevorzugten Opfer. Noch immer hatte der April ihnen nicht verziehen, dass er kein Himmelreich haben konnte.
Sollten sie sich doch dorthin zurückziehen. Solange sie noch auf der Erde weilten, würde er sie ärgern, wo er konnte.

Donnerstag, 14. April 2011

Märzmärchen - Bruderzwist


Im Wald herrschte Eiseskälte. Zierliche Elfen schwebten bibbernd im Dickicht des Waldes umher. Ihre zarten Flügel waren vor Kälte ganz steif geworden, sodass ihnen das Fliegen schwer fiel.
„Wo bleibt der Frühling nur?“, fragten sie einander ungeduldig.
Sie trugen hauchdünne Kleidchen, die im Winter keinen Schutz gegen den grimmigen Frost boten. Alle Elfen sehnten den Frühling herbei - wie schön ist es, wenn zartes Grün durch feuchten Boden stößt, die ersten Blumen sich entfalten und Sonnenstrahlen graue Wolkengebirge durchbrechen. Auch ihr Dasein wird dann leichter und fröhlicher.
So sehr sich die kleinen Wesen auch umschauten, nur Schneeglöckchen und Gelblinge kündigten an, dass im Jahresbuch schon März stand.
Bäume stöhnten bereits. Auf ihren Ästen lag immer noch Schnee, es war viel zu kalt, sich mit aufbrechendem Grün zu bekleiden.

„Mir reicht’s, ich werde den Winter besuchen und ihn fragen, wann er sich endlich zurückzieht!“, kündigte Ranja an. Sie war die mutigste der Elfen.
„Pass bloß auf, dass er dir nichts antut“, warnten ihre Schwestern ängstlich.
Doch Ranja hielt an ihrem Entschluss fest.
Auf dem Weg zum Winter verließ sie jedoch der Mut, und es stiegen Zweifel in ihr auf. Noch nie hatte sie ihm gegenüber gestanden. Wie würde er sie empfangen? Tausend Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum. Um die Furcht zu vertreiben, pfiff Ranja laut vor sich hin.

Plötzlich schreckte sie auf.
„Wer stört?“, schallte es bedrohlich in ihren Ohren.
Vor ihr stand ein älterer Mann, eingehüllt in dicke Winterkleidung. Eine fellbesetzte Kapuze war tief ins Gesicht gezogen. Eiskristalle zierten buschige Augenbrauen und den bis zum Knie reichenden Kinnbart.
Am liebsten hätte sich Ranja unsichtbar gemacht.
„Ich bin’s, Ranja, und suche den Winter.“
„Hast ihn gefunden, was willst du von mir?“, fragte der Winter barsch.
„Ich möchte Euch etwas fragen.“
„Blödsinn, von mir will keiner was wissen. Los, raus mit der Sprache. Warum bist du hier? Bestimmt willst du mich vertreiben, aber das lass ich nicht zu. - Noch nicht!“
Eisiger Hauch ließ Ranjas Flügel erstarren. Beinahe wären sie zerbrochen. Die Elfe bekam Angst.
„Haltet ein! Ich bitte Euch. Denkt doch mal nach, wie könnte ein schwaches Wesen, wie ich, Euch vertreiben?“
„Hm. – Hast Recht, das geht nicht. Also, warum hast du mich gesucht?“, die Stimme war etwas freundlicher geworden.
„Ich wollte Euch fragen, wann Ihr das Wetter dem Frühling überlasst.“
„Hatte ich doch gleich Recht! Du gehörst auch zu denen, die mich nicht früh genug loswerden, aber noch kann ich mich wehren!“
Der Winter warf Eiszapfen nach Ranja, doch sie wich den Geschossen geschickt aus.
„Ich möchte doch nur mit Euch reden, was ist daran so schlimm?“
„Du bist böse.“
„Bin ich nicht.“
„Bist du doch.“
„Nein.“
„Du hasst mich.“
„Wieso sollte ich das tun?“
„Weil ich kalt bin.“
„Aber das ist doch gut so.“
Diese Antwort hatte der Winter nicht erwartet. Sie machte ihn neugierig.
„Meinst du das wirklich?“
„Elfen lügen nicht.“
„Warum hast du dann nach dem Frühling gefragt?“
„Können wir in Ruhe darüber reden?“
„Nur, wenn du aufhörst, ständig um mich herumzuflattern.“
„Lasst erst Eure Eiszapfen fallen.“
Mit einem Lächeln legte er seine Waffen nieder.
„Hab dir ganz schön Angst gemacht, stimmt’s?“
Außer Puste geraten, setzte sich Ranja auf einen Stein.
„So schnell bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht geflogen“.
„Selber schuld, was fragst du auch nach dem Frühling? Er ist mein ärgster Feind.“
„Wieso denn? Ich dachte, er wäre Euer Bruder.“
„Ist er auch. Jeder freut sich auf ihn und kann es nicht erwarten, bis er mich besiegt hat. So etwas verbittert, ich kann ihn nicht leiden.“
„Habt ihr vergessen, wie sehnsüchtig nach dem ersten Schnee Ausschau gehalten wird? Liebevoll deckt ihr die Erde mit einer weißen Decke zu. Unter ihrem Schutz können die Pflanzen ruhen und neue Kräfte sammeln.
Außerdem feiern Menschen ihr schönstes Fest im Winter. So wichtig und wertvoll seid Ihr. Doch nach einer bestimmten Zeit müsst Ihr das Wetter dem Frühling überlassen. Der wird dem Sommer weichen, und dieser wiederum übergibt das Regiment dem Herbst. So und nur so funktioniert Mutter Natur.“
„Du meinst, ich muss nicht eifersüchtig sein?“
„Ganz und gar nicht. Alle Jahreszeiten haben ihre Berechtigung. Jede nimmt und gibt gleichermaßen, keine kommt zu kurz.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“
„Versöhnt Euch mit Eurem Bruder und lasst die Streitereien, sie führen zu nichts.“
„Jedes Jahr vertreibt mich der Frühling aufs Neue. Immer bin ich ihm unterlegen, deshalb wird es keinen Frieden zwischen uns geben.“
Ranja sah ein, dass dieser Konflikt tiefere Ursachen hatte. Nur durch Einsicht des Winters konnten sie gelöst werden. Sie fühlte sich hilflos und das machte sie sehr zornig.
„Frühling, Sommer, Herbst und Winter helfen beim Wachsen und Gedeihen der Pflanzen. Jede Jahreszeit wird gleichermaßen gebraucht. Eure Aufgabe ist es, der Natur eine Verschnaufpause zu schenken und die endet mit dem Erscheinen Eures Bruders. Ich warne Euch, es gibt es auf der Erde Länder, die kennen gar keinen Winter, und trotzdem erblüht reichhaltig das Leben. Passt gut auf, wenn Ihr so weiter macht, dann werdet Ihr einfach weggelassen.“
Noch verschlafen erschien der Frühling und rieb seine Augen. Er war zwar noch klein und trug einen spärlich bestickten Anzug, aber die von ihm ausströmende frische Kraft überzeugte auch so.
„Was ist los? Weshalb streitet ihr euch?“, wollte er wissen. An Ranja richtete er die Frage:
„Was hast du hier zu suchen?“
„Aber ich…doch nur…“, vor Überraschung bekam sie kaum ein Wort heraus.
Schützend stellte sich der junge Frühling vor den schwach gewordenen alten Winter. Der konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, deshalb wurde er von seinem Bruder unter den Armen gestützt.
„Ruh dich ruhig aus. Ich denke, deine Zeit ist nun um“, sagte der Frühling beruhigend.
Warmer Wind begleitete ihn.
Ranjas Flügel tauten auf und gewannen ihre ursprüngliche Beweglichkeit wieder.
Fassungslos bemerkte die Elfe, wie ihr Besuch missverstanden wurde.
„Ihr tut mir unrecht. Ich wollte Eurem Bruder nichts Böses antun. Dass er sich jetzt so schlecht fühlt, liegt an Eurer ausstrahlenden Wärme. Gern hätte ich gesehen, dass er nicht leiden muss und sich würdevoll verabschieden kann. Nur deshalb habe ich ihn aufgesucht, etwas anderes hatte ich nicht vor.“

„Sag kleine Elfe, würdest du mich auch mal im Dezember besuchen? Dann bin ich jung und kräftig und wir könnten uns bunt strahlende Lichterketten ansehen. Es war schön, dich kennenzulernen. Als Einzig hältst du noch zu mir. Das zu wissen erleichtert mir den Abschied.“, sagte der Winter mit letzter Kraft.
Seine Stimme wurde leiser, doch in den Augen lag ein Hoffnungsschimmer.
„Gern“, rief Ranja. „Ich denke, dass wir richtig gute Freunde werden.“
Lächelnd winkte sie dem scheidenden alten Mann zu.

„Was sind schon bunte Lichterketten gegen das Aufblühen prächtiger Blumen?“, fragte der Frühling erstaunt.
„Weil es im Winter an Farben fehlt, schmücken die Menschen ihr Fest mit leuchtenden Lampen. Das sieht zwar toll aus, ist aber nur künstlicher Schein.“, bekam er als Antwort.
„Ihr dagegen verkörpert neues Leben. Aber das könnt Ihr nur, weil der Winter zuvor Ruhe und Erholung auf Erden bringt. Ohne ihn, würden wir Eure Zeit nicht schätzen.
Schaut nur, da kommen die Tiere. Sie haben mächtigen Hunger. Ihr habt viel zu tun, bis alle wieder satt werden können und da möchte ich Euch nicht länger aufhalten. Ich wünsche Euch viel Freude an der Aufgabe.“
„Wirst du mich auch besuchen?“
„Wenn es Euch Recht ist, dann hätte ich am ersten Mai Zeit. Nun muss ich aber los, meine Schwestern erwarten mich.“

Erleichtert flog sie nach Hause, ihre Mission war beendet. Unterwegs begrüßten sie die aufblühenden Krokusse und Weidenkätzchen winkten ihr freudig zu.

Februarmärchen - Zwei Waldgeister in der Fremde.


„Diese Langeweile ist unerträglich“, stöhnte Troll Gel im hohen Norden Schwedens.
„Immer die gleiche Umgebung und Menschen Ärgern macht auch nicht mehr so viel Spaß wie früher. Ich glaub, ein Urlaub würde uns beiden gut tun“.
„Urlaub? Wieso willst du Urlaub machen? Hier geht es uns doch gut. Wenn´s dem Esel zu bunt wird, dann geht er aufs Glatteis. Apropos Glatteis, davon könnten wir ruhig etwas mehr gebrauchen. Es ist so lustig, wenn die Leute aufrecht gehen wollen, ihre Beine jedoch unterm Hintern wegrutschen. Dann rudern sie mit den Armen, als würden sie fliegen lernen. Genutzt hat es bisher keinem, alle landen doch auf dem Hosenboden. Ich kann mich gar nicht daran satt sehen. Macht es dir denn gar keine Freude mehr?“, erwiderte Rai, sein Zwillingsbruder.
„Doch schon, aber ich bekomme langsam ein schlechtes Gewissen. Die Leute respektieren uns. Eigentlich sind sie ganz lieb und wir amüsieren uns auf ihre Kosten.“, gab Gel zu bedenken.
Rai formte einen großen Schneeball und warf ihn mitten in Gels Gesicht.
„Hier hast du meine Antwort zum Thema schlechtes Gewissen. Stell dich nicht so an und spiel mit mir“. Es begann eine wilde Schneeballschlacht der Gel nur heil entkommen konnte, indem er die auf ihn zu fliegenden Geschossen durch kräftige Windböen abwies.
Da beide Geister waren, die im Eifer des Gefechts vergaßen sich festzukrallen, wurden sie in den Himmel gehoben.
„He, Wind, was tust du da? Lass uns wieder runter“, rief Gel seinem stürmischen Vetter zu.
„Habe ich eben gerade nicht etwas von Urlaub gehört?“, bekam er als Antwort.
„Ihr könnt mir vertrauen, ich bringe euch in ein Land, in dem alles anders ist. Das wird bestimmt spannend“.
Staunend betrachteten sie das intensive Licht über den Wolken. In einer Stadt, die hinter dem großen Wasser lag, sanken sie langsam zu Boden.
Häuser, in denen es sich Menschen gemütlich machen, kannten sie. Doch nahe den Wäldern Schwedens waren sie meistens aus Holz gefertigt. Dort, wo sie hingetrieben wurden, gab es nur Steinbauten. Sogar die Wege schienen aus Stein zu sein. Kaum ein Pflänzchen lockerte den einheitlich grauen Anblick auf.
„Wo sind wir? Ich will nach Hause, hier gefällt es mir nicht“, jammerte Rai.
„Wart’s ab, wenn wir schon Mal da sind, dann möchte ich mich auch in Ruhe umsehen. An diesem Ort riecht es merkwürdig. Ich höre auch kaum Vogelgezwitscher, jedoch viel Lärm von den seltsamen Wegen herkommend“
„Und wo sollen wir wohnen?“. fragte Rai besorgt.
Nach einem kleinen Erkundungsflug fanden sie den Stadtpark. Dort gab es zwar auch Bäume in denen sich die Trolle verstecken konnten, aber im Vergleich zu einem richtigen Wald, war es nur ein Notbehelf.
Noch nie hatten sie Pflanzen gesehen, denen ihr freies Wachstum beschnitten wurde. Mehr und mehr wurde Gel auf die Bewohner der Stadt neugierig.
Wenigstens fing es an zu schneien. Das machte ihren Aufenthalt etwas angenehmer. Fein herunterrieselnde Flocken bedeckten nur wenig die kahlen Äste. Die Trolle waren enttäuscht. Kinder jedoch, die gerade aus der Schule kamen jubelten. Sie kratzten das bisschen Schnee zusammen und bewarfen sich mit schmutzigen Eisbällen.
Langsam füllte sich der Park mit Menschen. Alle freuten sich über das stimmungsvolle Wetter. Doch kaum überzog hauchdünnes Weiß den Ort, hörte es auch schon wieder auf zu schneien.

„War das etwa schon alles? Es ist Mitte Februar. Wenn jetzt nicht mehr vom Himmel fällt, wenn dann? Dieses Elend sich ansehen zu müssen ist schlimm“, dachte Gel und beschloss den Bürgern eine Freude zu bereiten, die sie nicht so schnell vergessen sollten.

Die nächsten Tage spendete er ihnen weißen Segen, bis niederfallende Schneemassen sich zu Bergen auftürmten und es unmöglich machten auf der Straße zu fahren. Mit einer frischen Brise fegte er den üblen Stadtgeruch hinweg und lies die Bürger sauerstoffreiche Luft atmen. Was er nicht wissen konnte war, dass Maste und Bäume solch ungewöhnlichen Lasten nicht stand hielten. Sie knickten ein und der daraus folgende Stromausfall legte die ganze Stadt lahm. Es kehrte eine gespenstige Ruhe ein, die nur manchmal durch das Heulen eines Martinshorns unterbrochen wurde. Ohne diesen ohrenbetäubenden Krach hätten sich die Waldgeister beinahe wie zu Hause gefühlt.

Warum gingen die Leute bloß nicht ins Freie? Anstatt die weiße Pracht zu genießen, blieben sie in ihren Steinbauten.
Eine Amsel zwitscherte ihr Leid, weil das Vogelhäuschen trotz mehrerer Anflüge leer blieb. Normalerweise war es immer gut gefüllt, doch jetzt schien es keinen Nachschub mehr zu geben.
„Wenn dieses Unwetter noch lange anhält werden wir noch verhungern. Den Menschen ergeht es auch nicht viel besser. Sie sitzen in ihren Häusern und zittern wie nie zuvor. Bald erfriert noch einer in seiner Wohnung. Womit haben wir das verdient?“
Gel hörte bestürzt zu. Er war sich zwar keiner Schuld bewusst, doch offensichtlich mussten Menschen und Tiere wegen ihm leiden. Das hatte er nicht gewollt. Angestrengt dachte er nach, wie er den angerichteten Schaden wieder gut machen konnte.
Der Wind kam ihm zu Hilfe.
„Na ihr beiden, ist wohl nicht alles so gelaufen, wie ihr dachtet. Andere Länder, andere Lebensweisen. Da muss man sich anpassen, oder es gibt ein Unglück.“, raunte er in die Ohren der Trolle.
„Ach Vetter, was kann ich nur tun um alles wieder rückgängig zu machen?“, klagte Gel. Rai konnte es sich nicht verkneifen über seinen Bruder zu schimpfen.
„Ruhe jetzt!“, wurde Rai angepfiffen.
Über Gels Kopf strich der Wind jedoch sanft.
„Lass Mal den Kopf nicht hängen. Stromausfall ist hier nichts Neues. Ein Trupp zum reparieren ist schon unterwegs. Du kannst allerdings helfen die Masten aufzurichten. Dann geht es schneller und in den Häusern der Menschen wird es wieder warm.
Und zu Rai gewandt meinte er:
„Was hältst du davon die Straßen frei zu fegen? Das sind diese Steinwege, über die ihr euch gewundert habt“.
Rai war mit dieser Aufgabe einverstanden. Sicherlich würde ihm es ihm sogar Spaß machen den Schnee wegzustäuben.
Er hatte viel zu tun, bis alle Wege geräumt waren. Hinter ihm bildete sich eine Schlange aus Lastwagen. Das erste Mal in seiner Existenz war Rai an der Spitze einer Gruppe. – Er fand es großartige, so wichtig zu sein.

Gel half inzwischen die umgefallenen Masten aufzurichten. Dabei lernte er die Menschen ein bisschen näher kennen. Zuerst waren sie erstaunt, dass ihre Tätigkeit so leicht von der Hand ging. Unheimlich wurde ihnen erst, als ein Träger in der Luft schwebte und sie ihn nur noch ins vorbereitete Erdloch dirigieren mussten.
„Was geht hier vor? Das ist doch nicht normal!“, wunderten sich die Arbeiter. Gel musste kichern.
„Keine Bange, ich will mich doch nur nützlich machen. Gemeinsam werden wir schneller fertig“.
Seine Stimme wurde gehört, doch keiner konnte den Helfer sehen.
„Wer, oder was bist du?“, fragten die Männer, deren Nackenhaare sich sträubten.
„Ich bin ein Troll und mache hier Urlaub, was dagegen?“
„Troll – nie gehört das Wort. Warum zeigst du dich uns nicht?“
„Aber ihr müsst mir versprechen, niemanden etwas von meiner Anwesenheit zu verraten“.
„Ehrenwort“, tönte es aus der Runde.
Wie gewünscht erschien ein kleines, dickliches Männlein in ihrer Mitte. Es trug einen warmen Anorak, dessen fellbesetzte Kapuze tief ins Gesicht gezogen war. Daraus ragte eine überdimensionale Nase hervor, die sich zwischen zwei freundlich zwinkernden Augen breit machte. Am beeindruckendsten waren jedoch seine Patschehändchen, die kräftig zupacken konnten. Das Kerlchen sah so hässlich aus, dass man es fast schon wieder als hübsch bezeichnen konnte.
„So, jetzt genug gestaunt, wir haben noch was zu erledigen“, trieb Gel die Männer an.
„Ich stelle die Masten und ihr müsst nur noch das Kabel anschließen. Damit kenne ich mich nicht aus“.
Gesagt, getan. In kürzester Zeit, hatten alle Stadtbewohner wieder Strom und die Arbeiter freuten sich über eine satte Prämie, die nun wegen ihres schnellen Einsatzes fällig war.
Das gegenseitige Abschied nehmen fiel allen Beteiligten schwer. Alles Zureden, den hilfreichen Troll noch zum Bleiben zu überreden, nutzte nichts. Gel wollte nach Hause.

Gemeinsam mit Rai, rief er den Wind zur Hilfe. In diesem Urlaub hatten sie genug erlebt.
Ein letztes Mal fegte Sturm über die Stadt, der die Fremdlinge in ihr Heimatland trug. Danach setzte in der Stadt das ersehnte Tauwetter endlich ein.

Glücklich kamen die Walgeister zu Hause an. Neugierig wurden sie von ihren Artgenossen befragt. Gel und Rai fingen an zu erzählen. Mit der Wahrheit nahmen sie es nicht so genau, doch von ihren Heldengeschichten waren Jung und Alt begeistert.
Und wenn ihnen die Fantasie treu geblieben ist, dann erzählen sie noch heute.