Dienstag, 9. August 2011

Junimärchen - Johannisfeuer


Johannisfeuer

Vor vielen Jahren ließ sich am Rand des Dorfes eine junge Frau nieder. Sie hieß Johanna und kannte sich mit den Heilkräften von Kräutern bestens aus. Misstrauen schlug ihr von allen Einheimischen entgegen.
Woher kam die junge Frau? Warum hatte sie sich ausgerechnet bei ihnen niedergelassen? Wieso war sie nicht verheiratet und hatte keine Kinder?
Diese und ähnliche Fragen interessierten die Einwohner des Dorfes brennend.
Da sie aber stets freundlich war und jedem, der ihr begegnete ein Lächeln schenkte, wurde ihre Anwesenheit hingenommen.
Johanna war eine schöne Jungfer. Lange, blonde Haare umschmeichelten ihr schmales Gesicht. Hellblaue Augen und eine wohlgeformte Figur erweckte die Aufmerksamkeit der Burschen. Auch verheiratete Männer buhlten um ihre Gunst, doch keiner konnte sie erlangen.

Die Frauen des Dorfes sahen das mit heimlicher Genugtuung und luden die Fremde in ihre Häuser ein.
Als Johanna erzählte, Teemischungen und Salben herzustellen, erwarb sie sich deren Wohlwollen. Fast jede Mutter kannte noch Hausmittelchen aus alten Zeiten. Manche Weisheiten wurden ausgetauscht und Späße gemacht.
Von da an wurde Johanna bei den Dorffrauen freundlich aufgenommen. Dass ihr Holzhäuschen etwas abseits stand wunderte niemanden mehr. So wohnte sie näher bei den geliebten Kräutern, die sie zu ungewöhnlichen Zeiten pflückte.
Ihre Salben und Tinkturen wurden lieber benutzt, als vergleichbare Medikamente in der Apotheke. Sie waren gut verträglich und oft wirksamer.
Auch die Kinder mochten Johanna. Bei ihr lernten sie verschiedene Vogelarten anhand der unterschiedlichen Stimmen zu erkennen. Jeder Gang in die Natur wurde für die Kleinen zu einem spannenden Erlebnis.

Besonders zu dem Mädchen Klara fühlte sich Johanna hingezogen. denn es war sehr wissbegierig. Blaue Flecken an Armen und Hals verrieten, dass es zu Hause oft geschlagen wurde.

„Wer hat dir das angetan?“, fragte Johanna eines Tages.“
„Mein Vater“; antwortete Klara traurig.
„Er sagt, ich sei wie meine Großmutter. Die hätte auch den Teufel im Leib gehabt. Aber bei ihr wird er ihn herausprügeln. Dies sieht er als Liebesdienst an, für den ich ihm später noch dankbar sein werde“.
Johanna war entsetzt.
„Kanntest du deine Großmutter?“
„Nein. Kurz bevor ich geboren wurde starb sie. Aber oft träume ich von ihr. Wenn ich nachts weine, dann tröstet sie mich und verspricht mir, dass bald jemand kommt, der mein Leben ändern kann.

Johanna ahnte, dass Klaras Großmutter eine von ihnen gewesen war. Ihrem Enkelkind hatte sie übernatürlichen Fähigkeiten vererbt, die dem Vater als Hexerei vorkamen.
„Wirst du mir helfen?“, fragte das Mädchen.
„Dir kann niemand mehr ein Leid antun, denn ich umhülle dich mit einem unsichtbaren Schutz.“, antworte Johanna. Wer immer dich schlagen oder verletzen möchte wird Vergeltung erhalten. Doch ich sage dir gleich, lange kannst du nicht mehr bei deiner Familie bleiben. Dein Vater wird es nicht dulden, dass du für ihn unantastbar geworden bist.

Nachdenklich machte sich Klara auf den Heimweg. Was sie an diesem Tag erfahren hatte war so unglaublich, dass sie meinte, mit offenen Augen zu träumen. Diese schöne junge Frau, der einzige Mensch bei dem sie sich verstanden fühlte, sollte eine Hexe sein?
Aber Hexen waren doch alt, hässlich, hatten einen Buckel und eine dicke Warze auf der gebogenen Nase.
Der Prügelschutz war bestimmt auch eher ein Wunschgedanke, als Realität.

Als sie zu Hause ankam, fragte der Vater mit bedrohlicher Stimme.“
Wo hast du dich so lange herumgetrieben?“
„Ich habe mich nicht herumgetrieben, sondern war bei Johanna.“, antwortete Klara ehrlich. „Wir haben einen wunderschönen Nachmittag verbracht.“
„So, so, bei der Kräutertante warst du. Sie macht alle Weiber im Ort närrisch. Ich verbiete dir, sie noch einmal zu besuchen.“
Das erste Mal in ihrem Leben wagte Klara zu widersprechen.
„Was willst du dagegen tun, wenn ich trotzdem hingehe?“
Zornig hob der Vater die Hand und wollte seiner Tochter einen Hieb versetzen, doch dieses Mal war er es, der mit voller Wucht zu Boden fiel. Außerdem tat ihm seine Hand höllisch weh.
Verblüfft sah er Klara an. Sie stand noch am gleichen Platz, ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen.
Benommen rappelte er sich auf. Bevor er das Zimmer verließ, drehte er sich noch einmal zu seiner Tochter um.
„Wir sprechen uns später. Glaub bloß nicht, dass ich mir deine Frechheit bieten lasse.“

Im Gasthaus „Zum Hirsch“, versammelten sich alle ehrenwerten Männer des Dorfes. Johanna muss schnellstens verschwinden, um die öffentliche Ordnung wieder herzustellen. Darin waren sich alle einig. So ging es jedenfalls nicht mehr weiter.
Der Apotheker beklagte, dass kaum noch seine Medikamente gekauft wurden und auch der Arzt blickte auf bedenklich viele leere Stühle in seinem Wartezimmer.
Der Lehrer in der Grundschule wusste nicht mehr, was er den Kindern im Naturkundeunterricht beibringen sollte. Sie hatten inzwischen mehr Ahnung, als ihr Lehrmeister.
Die Frauen im ganzen Ort stellten plötzlich Ansprüche und verlangten, dass das Haus ihr Bereich ist, wo sie die alleinige Verantwortung tragen.
Da stand Klaras Vater auf und berichtete, was ihm widerfahren war.
„Das ist der Beweis, auf den wir alle gewartet haben.“, verkündigte der Bürgermeister hocherfreut.
„In unserem Dorf treibt eine Hexe ihr Unwesen. Wir müssen sie vernichten, bevor es zu spät ist.“
„Aber wie sollen wir das tun?“, fragte der Apotheker.
„Ich habe eine ausgezeichnete Idee, aber dafür brauche ich willensstarke Männer.“, äußerte sich der Lehrer.
Bevor er mit der Sprache herausrückte, gab er eine Runde Bier aus.
„Auf die alten Zeiten Mögen sie bald wiederkommen.“, lautete sein Trinkspruch. Dann wurde er ernst.
„Heute haben wir den dreiundzwanzigste Juni, wenn das kein Zeichen vom Himmel ist.“
In der Runde, sah er nur verständnislose Gesichter.
„Habt ihr schon mal etwas vom Johannisfeuer gehört?“
Um seine Bildung zu beweise, meldete sich der Doktor zu Wort.
„Das ist ein Brauchtum bei dem ein Scheiterhaufen errichtet und angezündet wird. Die Verbrennung des Hansl, einer Strohpuppe, soll vor Dämonen, Hagel und Viehschäden schützen.“
„Genau. Johanna ist ein Dämon, vor dem uns das Johannisfeuer schützen wird.“
„Aber wir haben weder Scheiterhaufen, noch eine Strohpuppe, die darauf verbrannt werden kann.“
„Solche Dinge brauchen wir nicht. Unser Dämon lebt bereits in einem Holzhaus. Mit Balken verschließen wir Fenster und Tür, damit die Kräuterhexe nicht hinaus kann. Ein Ballen Stroh reicht aus. Wenn wir ihn gut verteilen, brennt alles wie Zunder.
Nun ziert euch nicht und macht mit. Noch diese Nacht werden wir das teuflische Treiben los.“, drängte der Lehrer.
„Das ist ein Verbrechen, ihr geht eindeutig zu weit! Ohne mich. Was wollt ihr demnächst mit meiner Tochter machen?“ Klaras Vater ergriff panische Angst.
„Mach dir mal keine Sorgen. Klara ist ein liebes Kind, ihr werden wir nichts tun. Vielleicht bist du auch nur ausgerutscht“, beruhigte der Bürgermeister den aufgeregten Mann.
„Noch ein Bier für meine Freunde, dieses Mal bezahle ich“, rief er dem Wirt zu.

Das Feuer erhellte den Nachthimmel, als Johannas Häuschen brannte. Jene, die sowieso nicht schlafen konnten gingen hinaus, um nachzusehen, was passiert war. Es verschlug ihnen den Atem, als sie die Männer um lodernde Flammen tanzen sahen. Zum Löschen war es viel zu spät, doch alle Frauen wurden alarmiert, damit sie mit eigenen Augen sahen, welches ungeheuerliche Verhalten in ihrem Dorf möglich war.

Klara bekam von all dem nichts mit. Beim Frühstück fragte das Mädchen nach ihrem Vater, der sonst immer an der Stirnseite des Tisches saß.
„Der schläft noch seinen Rausch aus. Wenn er wach ist, habe ich ein ernstes Wörtchen mit ihm zu reden.“
Das Mädchen bekam es mit der Angst zu tun.
„Was ist passiert?“
„Es sieht so aus, als hätten er und seine wahnsinnigen Freunde Johannas Haus angesteckt.“
„Ist sie schlimm verletzt?“
„Weiß nicht, niemand hat sie bisher gesehen.“
Klara stieß einen schrillen Schrei aus. Nichts hielt sie mehr zurück. In Windeseile erreichte sie den Platz, wo gestern noch das Holzhäuschen stand. Ein stechend beißender Geruch nahm ihr fast den Atem.
Vor den verkohlten Überresten brach das Mädchen schluchzend zusammen.
„Nicht traurig sein“, sagte eine vertraute Stimme.
Wie vom Blitz getroffen fuhr Klara herum und blickte in Johannas Augen. Erleichtert fiel sie ihr in die Arme.
„Wie konntest du den Flammen entkommen?“, stammelte das Kind
„Die Männer waren nicht gerade leise, als sie vor meinem Haus standen. Ich wusste sofort was sie im Schilde führten. Also verwandelte ich mich in einen Junikäfer und flog unbemerkt davon.“
„Du kannst dich verwandeln?“, fragte das Mädchen erstaunt.
„Hexen können noch viel mehr, aber wir wenden unsere Fähigkeiten nur im Notfall an.“
Dann wurde Johanna ernst.
„Ich sagte dir bereits, dass du nicht mehr lange zu Hause leben kannst. Schau nur, was sie mir antun wollten.“
„Wo soll ich denn sonst hin?“ Tränen glänzten in Klaras Augen.
„Bleib einfach bei mir. Ich verspreche dir, dass du alles lernen wirst, was du wissen musst und auch das, was du möchtest.
„Oh ja“, jubelte das Mädchen. Bringst du mir auch bei, wie ich mich verwandeln kann?“
„Das kommt ganz darauf an, welche Fähigkeiten du besitzt.“

Arm in Arm gingen sie dem Horizont entgegen und wurden von niemand mehr gesehen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen