Freitag, 5. August 2011

Aprilmärchen - Ein schwieriger Geselle


Ein schwieriger Geselle.

Zwölf Kinder waren zum großen Familientreffen geladen worden, und alle erschienen mit unterschiedlichen Erwartungen.
Keines konnte sagen warum es diese seltsame Unruhe verspürte. Jedes ahnte, dass sie nie wieder alle zusammen sein würden.

Die Jahresmutter war eine Dame im zeitlosen Alter. Liebevoll hatte sie sich um jeden Einzelnen ihrer Söhne gekümmert, doch nun war es an der Zeit, sie in die Welt zu entlassen.
Sie hatte einen großen Gabentisch vorbereitet, auf dem alle möglichen Wetterlagen friedlich nebeneinander schlummerten. Sie mussten erst aktiviert werden, bevor sich ihre Wirkung entfalten konnte.
Die Begrüßung verlief herzlich, alle freuten sich über die unerwartete Einladung.
Es wurde viel geredet. Doch als die Brüder feststellten, wie unterschiedlich sie über ihre Zukunft dachten, gerieten sie darüber in Streit.
Da sprach die Jahresmutter mit lauter Stimme:
„Ihr seid jetzt alle erwachsen, deshalb trennen sich unsere Wege. Ich war gern eure Mutter und hoffe jedem das beigebracht zuhaben, was er für sein Leben braucht.“
Sie zeigte auf den Tisch.
„Hier finde ihr alles, um eurer Aufgaben zu erfüllen. Jeder kann sich das nehmen, was ihm gefällt. Greift unbekümmert zu, von allem ist reichlich vorhanden.
Dies werden meine letzten Geschenke an euch sein. Geht sorgsam mit ihnen um und macht mir keine Schande.“

Neugierig näherten sich Januar und Februar dem Gabentisch. Die beiden konnten sich gut leiden, oft genug steckten sie ihre Köpfe zusammen. So viele Wetterlagen an einem Ort hatten sie noch nie gesehen. Unschlüssig schweiften ihre Blicke umher. Bald fanden sie Schnee, Eis und frostige Nächte. Doch was sollten sie mit brütender Hitze anfangen? Ein bisschen Sonnenschein steckten sie sich ein, außerdem noch Wind und Regen. Zufrieden zogen sich die Wintermonate zurück. Damit würden sie gut über die Runden kommen.
Die anderen machten es ihnen nach. Eine Entscheidung zu treffen und sich etwas Passendes auszusuchen, war gar nicht so einfach. Da sie aber jede Art von Wetter mitnehmen konnten, wählten sie Situationen aus, die ihnen keiner zugetraut hätte. So fanden auch gravierende Ereignisse, wie Überschwemmungen und Wirbelstürme ihre wohlwollenden Abnehmer.

Bald hatte sich jeder Monat mit allem eingedeckt, was er begehrte. Nur der April stand noch unschlüssig herum. Er konnte sich einfach nicht entscheiden.
Zuerst raffte er alle auf dem Tisch liegenden Wetter zusammen. Doch weil er damit nur den Spott seiner Brüder herausforderte, wurde er wütend und warf alles wieder auf seinen ursprünglichen Platz zurück.
„Sei doch vernünftig“, wollte der August vermitteln.
„Du kannst nicht Sturm und Nebel gleichzeitig benutzen. Starker Wind reißt die Nebelbank auseinander“
„Ich will aber beides“, trumpfte der April auf.
„Wie sollen trockene Böden entstehen, wenn Du jede Menge Regen eingepackt hast?“
„Ich will sie trotzdem haben.“
„Einerseits nimmst du frostige Nächte, und dann wiederum sonnenwarme Tage mit aufblühenden Blumen. Hast du keine Angst, dass Kälte die zarten Knospen zerstört?“
„Und wenn schon. Dann fege ich eben mit Hagel alle abgestorbenen Pflanzenteile wieder hinweg.“
„Du machst Scherze - Aprilscherze.“
Hinter seinem Rücken hörte er einen Bruder lästern:
„Lass ihn doch. Die Sterblichen haben dafür ein Sprichwort. Sie sagen:
Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.“
In seiner Aufregung, verstand der April nur das letzte Wort. Prompt verlangte er:
„Himmelreich, das will ich auch.“
Übermütig sprang er auf den Tisch und wühlte alle Geschenke durcheinander. Eine Weile später rief er nach seiner Mutter.
„Ich kann das Himmelreich nicht finden, wo hast du es versteckt?“
Die Jahresmutter wusste nicht, wovon die Rede war. Hilfesuchend wandte sie sich an die anderen Anwesenden. Der Juni machte ein eindeutiges Zeichen, dass er den April für einen Spinner hielt, und klärte sie über das Missverständnis auf.
Kopfschüttelnd wies sie ihren Sohn zurecht.
„Junger Mann, bei dir scheinen meine Erziehungsmethoden fehlgeschlagen zu sein. Du benimmst dich immer noch wie ein ungezogenes Kind. Dich kann ich nicht allein lassen, deshalb werde ich März und Mai bitten, auf dich aufzupassen.
Was sehe ich da? Du hast ja noch gar keine Gaben eingesammelt. Komm, gemeinsam suchen wir uns eine schöne Zusammenstellung für dich aus.“
Mit dem unterschiedlichsten Wetter beladen, musste der April seinen Platz zwischen den vernünftigeren Frühlingsmonaten einnehmen. Diese waren zwar von der Entscheidung ihrer Mutter nicht begeistert, konnten ihr aber keinen Wunsch abschlagen.

Nachdem alles zur Zufriedenheit der Jahresmutter geregelt war, konnte sie sich endlich zurückziehen und ihren Söhnen die Verantwortung übergeben.
Vier Wochen lang sollten sie sich ungestört austoben, mussten aber beim nachfolgenden Monat Rechenschaft ablegen. So war ihrer Meinung nach die Zusammenarbeit mit der Natur gewährleistet.
Als der April an der Reihe war, sann er lange über seine Möglichkeiten nach. Wie konnte er es den Menschen heimzahlen, dass sie ein Himmelreich besaßen, er aber nicht. Immer noch gab sich der April unberechenbar. Vernünftig sein, war ihm viel zu langweilig. Er wollte Spaß haben.
Sah er zum Beispiel einen Sterblichen, wie der Beete seines Gartens zur Aussaat vorbereitete, dann zog er eine Wolke heran und ließ es kräftig regnen. Völlig durchnässt, mit zentimeterdicken Schlamm an den Schuhen klebend, musste der arme Mensch seine Arbeit aufgeben.
Danach konnte die Sonne ruhig wieder scheinen.
Anderen Leuten blies der April Hut oder Mütze vom Kopf. So bald sie sich danach bückten, flog ihre Kopfbedeckung weiter weg, bis sie in einer nahe gelegenen Pfütze landete.
Er amüsierte sich köstlich über seine gelungenen Streiche, die keinen großen Schaden anrichten.
Menschen waren seine bevorzugten Opfer. Noch immer hatte der April ihnen nicht verziehen, dass er kein Himmelreich haben konnte.
Sollten sie sich doch dorthin zurückziehen. Solange sie noch auf der Erde weilten, würde er sie ärgern, wo er konnte.

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