Dienstag, 9. August 2011

Julimärchen - Das Geschenk


Das Geschenk

Als der Juni ins Schloss der Jahresmutter gerufen wurde, musste er sich vor den anderen Monaten rechtfertigen. Mit seiner Absicht Wärme zu verbreiten hatte er es übertrieben. Nicht nur Menschen fiel es schwer die Temperaturen auszuhalten, auch alle Pflanzen litten unter der andauernden Trockenheit. Ihre Fruchtstände konnten sich nicht ausreichend entwickeln, weil ihnen das notwendige Wasser fehlte.
„Du Blödian glaubst wohl aus der Reihe tanzen zu können. Es geht hier nicht nur um dich allein. Wir alle müssen darauf achten, dass sich die Natur voll entfalten kann.“, schimpfte sein Bruder September.
„Wofür steht mir Hitze zur Verfügung, wenn ich sie nicht einsetzen darf?“, verteidigte sich der Beschuldigte.
„Kannst du doch, aber in Maßen. Wir müssen sorgfältig mit unseren Fähigkeiten umgehen. Das hast du nicht getan und jetzt haben wir den Salat. Ähm, es wäre schön wenn wir Salat hätten, aber der konnte bei diesem Klima nicht gedeihen. Ich meine natürlich, dass wir uns jetzt überlegen müssen, wie wir den angerichteten Schaden wieder gut machen können.“
Nun war Juli an der Reihe das Wetter zu bestimmen, deshalb richtete sich alle Aufmerksamkeit auf ihn.
„Damit ich sehen kann was am dringendsten benötigt wird, möchte ich erst eine Bestandsaufnahme machen.“, schlug er vor.
Beifall erfüllte den Saal.
Der Juni stand wie ein begossener Pudel neben ihm und war sich keiner Schuld bewusst. Alle schwärmten doch vom sonnigen Süden, wollten sogar in Afrika Urlaub machen und jetzt, wo er herrlich heißes Wetter den Europäern geschenkt hatte, war es auch wieder nicht Recht. Zornig brüllte er die anderen Monate an.
„Macht doch euren Sch… alleine!“
Der April wollte vermitteln, wurde aber vom Dezember zurück gehalten.
„Lass ihn, der beruhigt sich auch wieder. Jedem fällt es schwer sich Fehler einzugestehen. Jetzt bin ich aber neugierig zu welchem Resultat der Juli gekommen ist.“

Dass kühlender Regen fehlte war offensichtlich. Ausgetrocknete Erdböden zeigten Risse und die Waldbrandgefahr stieg erheblich.
Entschlossen krempelte der Juli seine Ärmel hoch und sammelte überm Meer entstandene Feuchtigkeit ein, die er übers Land scheuchte.
„Autsch, pieks doch nicht so, du tust uns weh“, beklagten sich helle Stimmen.
Verwundert hielt der Juli inne.
Im Wolkengebilde, das er vor sich her schob, schwirrten elfengleiche Wesen herum, die nur aus Tropfen zu bestehen schienen. Ängstlich hielten sie sich aneinander fest. Einfallendes Licht brach sich in tausend Facetten.
Beeindruckt von deren Schönheit fragte der Juli:
„Wer seid Ihr? Ich habe Euch noch nie gesehen.“
„Das ist wieder einmal typisch für Monate.“, meldete sich eine der Schwestern zu Wort.
„Jahr um Jahr begleiten wir Euch, erleben die gleichen Temperaturen, halten denselben Stürmen stand und dann bemerkt Ihr uns noch nicht einmal.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage. Wer, oder was seid Ihr?“
„Wir sind die Seelen des Wassers. Ohne uns gäbe es diese Kostbarkeit nicht.“
„Was tut ihr dann am Himmel? Warum lasst ihr euch nicht auf die Erde fallen, wo ihr sehnsüchtig erwartet werdet?“
„Hast du eine Ahnung, was uns bevorsteht. Früher, da machte es richtig Freude sich dort aufzuhalten. Doch heute? Es ist ja so dreckig da unten, dass wir beschlossen haben zu streiken.“
„Moment Mal, das geht doch nicht! Ihr dürft nicht streiken, oder aus grünen Landstrichen wird eine Wüste werden.“
„Stein- oder Wasserwüst, was hättest du lieber?“, fragte eine der Rednerinnen keck.
„Keins von beiden. Ich mag prächtige Blüten, herb duftende Kräuter und herumtollende Kinder.“
Der Juli beschrieb seine Wünsche so bildhaft, dass sich einige Tropfenseelen vor Rührung nicht mehr in der Luft halten konnten und langsam niedersanken. Ihnen folgten andere, bis erfrischender Nieselregen einsetzte.
Erleichtert sah der Juli, wie alle Lebewesen der Erde aufatmeten.
Doch dann musste er mit ansehen, wie alle Wasserseelen gleichzeitig zu Boden fallen wollten.
„Weg da, mach Platz, ich bin zuerst dran. Dann musst du aber schneller sein.“, stritten sie untereinander.
Schnell entstand aus dem Segen ein noch größeres Unheil, als zuvor.
Flüsse erhoben sich aus ihren Betten und überschwemmten das ganze Land.
„Halt, halt, was macht ihr da. Seid ihr denn nicht eurer Verantwortung bewusst?“, schrie der Juli verzweifelt.
„Verantwortung, für wen?“, fragten die Seelen.
„Für uns alle.“
„Was haben wir davon?“
„Ein Geschenk das ich Euch überreichen werde, wenn ihr aufhört Land in Seen umzuwandeln.“
„Was soll das für ein Geschenk sein?“
„Das werdet ihr schon früh genug sehen.“
„Gib uns erst das Geschenk, dann überlegen wir uns, ob wir es überhaupt haben wollen.“
„Nein. Entweder ihr macht was ich euch sage, oder ihr bekommt gar nichts.“
Die Seelen des Wassers waren von Natur aus neugierig und beratschlagten was zu tun sei. Da alle anwesend sein mussten, damit jede Meinung berücksichtigt werden konnte, vergingen mehrere Wochen in denen kein Tropfen fiel.
Der Juli nutzte die Zeit, um es reichhaltig blühen zu lassen. Bienen schwirrten emsig umher und sammelten Nektar ein, wie sie es in jedem Honigmonat taten.

Schließlich trat eine der Seelen hervor und verkündete:
„Wir sind einverstanden und wollen uns besser benehmen.“
„Ihr hört auf das, was ich euch sage.“
„Treib es nicht zu weit. Wir sind und bleiben eigenständige Wesen.“
Selbstverständlich. Aber ich muss darauf bestehen, dass wir uns in Zukunft absprechen. Da von mir verlangt wird für das Wetter Rechenschaft abzugeben, bin ich auf Eure Mithilfe angewiesen.“
„Vergiss nicht das Geschenk! Was für ein Geschenk hast Du für uns?“, riefen die Geschwister aufgeregt.“
„Geruch. Bis jetzt habt ihr nach Nichts gerochen, das soll sich nun ändern. Wenn immer ein Tropfen auf die Erde fällt, egal worauf, werden ihn Lebewesen riechen können.“
„Du kannst gut reden. Wir haben keine Nasen um zu überprüfen ob es wahr ist, was du sagst.“
„Werft einen Blick auf die Erde, der wird alle Zweifel beseitigen.“

Sie sahen eine Familie, die dabei war Heu zu einzulagern. Schnuppernd drehte der Bauer sein Gesicht dem Wind entgegen.
„Wir müssen uns beeilen, es wird bald regnen.“, sagte er zu seinem Sohn.
Wie kommst du darauf? Der Himmel ist doch strahlend blau.“
„Mag sein, aber ich kann den Regen riechen. Steh nicht so dumm herum. Noch heute müssen alle Ballen im Schuppen sein“

Triumphierend sah der Juli die Wasserseelen an.
„Gerade konntet ihr hören, dass ich nicht zuviel versprochen habe.“
Die Wasserseelen jubelten. Ihre neue Eigenschaft gefiel ihnen und um sie nicht wieder zu verlieren, streikten sie nie wieder.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen