Samstag, 15. Oktober 2011

Dezembermärchen - Sieg der Götter


Sieg der Götter

Bedrohliche Schatten huschten umher, krochen in Steinspalten, schlüpften durch Ritzen bewohnter Häuser und durchsuchten verlassene Ruinen. Wälder und Täler hatten sie schon nach der Frau abgesucht, doch nichts gefunden. Irgendwo musste sie sich versteckt haben, die Zeit drängte.
Noch eine erfolglose Nacht, dann würde die Wintersonnenwende eintreffen. Wieder einmal hätten sie ihr Ziel nicht erreicht. Jedes Jahr strebte eine finstere Gruppe die Weltherrschaft an. Bisher ohne Erfolg, doch sie gaben nicht auf.

„Los, los, macht schon, es darf doch nicht wahr sein, dass sich diese Göttin unauffindbar versteckt hat. Sie ist hier, ich kann ihre Anwesenheit beinahe riechen. Denkt an die Wonnen, die uns bevorstehen, wenn sie ihr Kind nicht auf die Welt bringen kann, das wird euch bei der Suche antreiben!“
Der Schattenkönig versuchte mehr Druck auf seine Untergebenen zu machen, doch er wusste ganz genau, dass sie bereits ihr Möglichstes taten.

„Wenn du die Anwesenheit von Sulis wahrnehmen kannst, warum holst du sie dann nicht selbst aus ihrem Unterschlupf heraus?“, fragte einer der jüngeren Gesellen.
„Werd erst mal erwachsen, bevor du frech werden darfst. Vor dir muss ich mich nicht rechtfertigen. Nie und nimmer!“
Empört plusterte sich der Anführer auf, so dass der Untergebene in die Dunkelheit zu versinken drohte.
Oh ja, es gab noch Schlimmeres, als Finsternis. Vor dem absoluten ausgelöscht sein hatten sogar Schatten Angst. Diese Strafe konnte der König gegen seine Diener verhängen, wenn ihm danach war. Doch er tat es nur in Ausnahmefällen und wenn seine Autorität angezweifelt wurde.

„Ich bitte um Vergebung. Nie wieder werde ich es wagen Euer Gnaden mit dieser Frage zu belästigen“, beeilte sich der Gescholtene zu versichern. Aus Angst vor der Macht seines Herrschers begann er zu zittern.
„Wir sind wohl alle zur Zeit etwas überreizt“, lenkte der Schattenkönig beruhigend ein.
Er hatte gar nicht vor seinen Diener zu verschlingen, denn was wäre ein Regent ohne Untertanen? Die Drohungen wurden jedenfalls ernst genommen und das beruhigte ihn sehr.

Der Morgen graute, die Suche musste beendet werden. Erschöpft versammelten sich die Schatten in einer eiskalten Grotte. Sie sprachen sich gegenseitig Mut zu, doch das konnte ihre getrübte Stimmung nicht beleben.
Damit seine Getreuen auf andere Gedanken kamen, erzählte der Schattenkönig von der letzten Eiszeit, die sich vor achtzehntausend Jahren in dieser Region ausbreitete.
Damals hielt meterdickes Eis das Land in einem frostigen Würgegriff gefangen. Alles Leben schien erstickt zu sein. Außer unendlicher Ruhe gab es nichts. Älteren Schatten hatten die beißende Kälte noch erfahren dürfen. Staunend lauschten die Jüngeren den Berichten vom verlorenen Paradies.

In der Zwischenzeit bereitete sich die keltische Göttin Sulis in der finstersten Tiefe der Erde auf eine Geburt vor. Diesen Platz wählte sie bewusst aus, denn kein Schatten vermutete jemals, dass sie sich ausgerechnet im Zentrum ihres dunklen Reiches verstecken würde. Heimlich und zur stillsten aller Stunden kam ihr Lichtbaby zur Welt.
Nun musste das Kind nur noch zur Sonne aufsteigen, um dem Himmelskörper frische Kraft zu verleihen. Danach würden die Tage länger werden und die Macht der Schatten war gebrochen. Was tot und verloren schien, hatte nur tief geschlafen.
Am einundzwanzigsten Dezember, der längsten Nacht des Jahres, erfüllte sich die Prophezeiung vom Wiedererwachen allen Lebens

Langsam erreichte Sulis mit ihrem Baby im Arm die Erdoberfläche. Kaum schaute ihr Kopf hervor, wurde sie entdeckt.
Voller Zynismus rief der Schattenkönig
„Welch eine Freude meine Liebe. Erhebe dich und gönne mir deinen Anblick. Jahrtausendelang habe ich nach dir gesucht und jetzt stehst Du plötzlich vor mir. Was für ein Triumph, ich kann es noch gar nicht fassen. Was verbirgst du denn hinter deinem Rücken? Ist das etwa ein Geschenk für mich? Aber das wäre doch nicht nötig gewesen. Ich meine, so gute Freunde sind wir ja auch wieder nicht.“
Dann fuhr im herrischen Ton fort
„Mach schon, gib den Jungen her!“
„Nein, meinen Sohn bekommst Du nicht!“, verteidigte die Göttin ihr Kind.
„Wer will mich denn daran hindern? Ich sehe weit und breit niemanden, der das könnte“.
„Denk an meine Macht“.
„Ha, ha, ha, deine Macht. Die kannst du vergessen. In all den Jahren habe ich dazu gewonnen, während du es dir hast gut gehen lassen“.
„Geh mir aus dem Weg, oder du wirst im Licht meines Babys vergehen“.
Zu den umherstehenden Dienern meinte der König belustigt,
“Huuu, wie ich mich vor ihr fürchte!", der Schattenkönig und sein Heer, das ihn umringte, brach in höhnisches Gelächter aus.
"Auch einer Göttin sind Grenzen gesetzt, nur weiß sie das noch nicht.
Zeigen wir ihr, wer hier die Macht hat“.

Auf sein Zeichen hin verschmolzen die dunklen Gesellen zu einer dichten Masse, die immer schwerer und undurchdringlicher wurde. Bald würde auch das Licht darin verschwinden.
Sulis erkannte die Gefahr sofort. In ihrer Not rief sie Teutates an. Er war ein richtiger Kriegsgott und konnte ihr beistehen.
„Spar dir die Mühe und rück das Kind endlich raus. Dann kannst du zusehen, wie ich es verschlingen werde und gleich danach bist du dran“, verhöhnte der Schattenkönig die Mutter in Not.

Kaum waren seine Worte verklungen, ertönte ohrenbetäubender Lärm. Ein Feuerring umloderte Sulis und Kind. Entsetzt wichen die dunklen Wesen zurück.
Mit Donnerhall verkündete Teutates:
„Wenn du dich mit jemand anlegen willst, dann stehe ich dir gerne zur Verfügung, aber lass meine Schwester in Ruhe. Wie kannst Du es wagen, Hand an eine Göttin zu legen, du niedrige Kreatur!“
Flammen züngelten empor, sogar der Himmel glühte.
Der Schattenkönig wollte sich ins Erdreich verdrücken, doch er wurde vom Kriegsgott mit gleißenden Blitzen festgehalten.
„Bleib!“, herrschte Teutates den Schattenkönig an. „So schnell kommst du mir nicht davon“.
Wie ein Wurm zappelte der finstere Herrscher in panischer Angst.
„Schau dich nur um, wo sind deine Getreuen jetzt hin?“
Die Geister der Nacht hatten sich verzogen.
„Elendes Geschmeiß! Glaubst die Weltherrschaft an dich reißen zu können und den ganzen Planeten ins Verderben zu stürzen. Niemals hätten wir Götter das zugelassen.“
In Todesangst wimmerte der König um Gnade.
Unerwartet sanft setzte Teutates seinen Widersacher zu Boden.
„Ruf deine Mitstreiter zusammen, ich werde ein Urteil über euch fällen.“
Dem Schicksal ergeben kamen alle Schatten aus ihren Löchern gekrochen. Das erste Mal hatten sie wahre Macht erlebt.

„Weil ihr es gewagt habt meine Schwester und ihren Sohn töten zu wollen, werdet ihr fortan gefangen sein. Nie wieder muss sich Sulis vor euch verstecken. Wo immer Licht ist, werdet ihr ein Abbild von dem, was beleuchtet ist, auf die Erde zeichnen. Egal, ob Tier, Pflanzen oder Gegenstand. Es ist euch nicht mehr erlaubt sich selbstständig aufzurichten. Als Sklaven müsst ihr im Staube kriechen. Von jetzt an, bis in Ewigkeit.“

Mit sich und seinem Richterspruch zufrieden, zog sich Teutates zurück und Sulis begleitete ihren Sohn auf den Weg zur Sonne.
Seitdem wurde dieser Sieg zur Wintersonnenwende ausgiebig von den Menschen gefeiert und wenn die Tage wieder länger werden, dann feiern sie das Ereignis noch heute.

1 Kommentar:

  1. Hi Putzi, ich freue mich gerade total, dass Du einen Blog hast, in dem Deine ganzen tollen Märchen stehen. Was für eine tolle Idee. Da müssen wir jetzt mal Werbung für machen... Herzliche Grüße

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