Donnerstag, 14. April 2011

Februarmärchen - Zwei Waldgeister in der Fremde.


„Diese Langeweile ist unerträglich“, stöhnte Troll Gel im hohen Norden Schwedens.
„Immer die gleiche Umgebung und Menschen Ärgern macht auch nicht mehr so viel Spaß wie früher. Ich glaub, ein Urlaub würde uns beiden gut tun“.
„Urlaub? Wieso willst du Urlaub machen? Hier geht es uns doch gut. Wenn´s dem Esel zu bunt wird, dann geht er aufs Glatteis. Apropos Glatteis, davon könnten wir ruhig etwas mehr gebrauchen. Es ist so lustig, wenn die Leute aufrecht gehen wollen, ihre Beine jedoch unterm Hintern wegrutschen. Dann rudern sie mit den Armen, als würden sie fliegen lernen. Genutzt hat es bisher keinem, alle landen doch auf dem Hosenboden. Ich kann mich gar nicht daran satt sehen. Macht es dir denn gar keine Freude mehr?“, erwiderte Rai, sein Zwillingsbruder.
„Doch schon, aber ich bekomme langsam ein schlechtes Gewissen. Die Leute respektieren uns. Eigentlich sind sie ganz lieb und wir amüsieren uns auf ihre Kosten.“, gab Gel zu bedenken.
Rai formte einen großen Schneeball und warf ihn mitten in Gels Gesicht.
„Hier hast du meine Antwort zum Thema schlechtes Gewissen. Stell dich nicht so an und spiel mit mir“. Es begann eine wilde Schneeballschlacht der Gel nur heil entkommen konnte, indem er die auf ihn zu fliegenden Geschossen durch kräftige Windböen abwies.
Da beide Geister waren, die im Eifer des Gefechts vergaßen sich festzukrallen, wurden sie in den Himmel gehoben.
„He, Wind, was tust du da? Lass uns wieder runter“, rief Gel seinem stürmischen Vetter zu.
„Habe ich eben gerade nicht etwas von Urlaub gehört?“, bekam er als Antwort.
„Ihr könnt mir vertrauen, ich bringe euch in ein Land, in dem alles anders ist. Das wird bestimmt spannend“.
Staunend betrachteten sie das intensive Licht über den Wolken. In einer Stadt, die hinter dem großen Wasser lag, sanken sie langsam zu Boden.
Häuser, in denen es sich Menschen gemütlich machen, kannten sie. Doch nahe den Wäldern Schwedens waren sie meistens aus Holz gefertigt. Dort, wo sie hingetrieben wurden, gab es nur Steinbauten. Sogar die Wege schienen aus Stein zu sein. Kaum ein Pflänzchen lockerte den einheitlich grauen Anblick auf.
„Wo sind wir? Ich will nach Hause, hier gefällt es mir nicht“, jammerte Rai.
„Wart’s ab, wenn wir schon Mal da sind, dann möchte ich mich auch in Ruhe umsehen. An diesem Ort riecht es merkwürdig. Ich höre auch kaum Vogelgezwitscher, jedoch viel Lärm von den seltsamen Wegen herkommend“
„Und wo sollen wir wohnen?“. fragte Rai besorgt.
Nach einem kleinen Erkundungsflug fanden sie den Stadtpark. Dort gab es zwar auch Bäume in denen sich die Trolle verstecken konnten, aber im Vergleich zu einem richtigen Wald, war es nur ein Notbehelf.
Noch nie hatten sie Pflanzen gesehen, denen ihr freies Wachstum beschnitten wurde. Mehr und mehr wurde Gel auf die Bewohner der Stadt neugierig.
Wenigstens fing es an zu schneien. Das machte ihren Aufenthalt etwas angenehmer. Fein herunterrieselnde Flocken bedeckten nur wenig die kahlen Äste. Die Trolle waren enttäuscht. Kinder jedoch, die gerade aus der Schule kamen jubelten. Sie kratzten das bisschen Schnee zusammen und bewarfen sich mit schmutzigen Eisbällen.
Langsam füllte sich der Park mit Menschen. Alle freuten sich über das stimmungsvolle Wetter. Doch kaum überzog hauchdünnes Weiß den Ort, hörte es auch schon wieder auf zu schneien.

„War das etwa schon alles? Es ist Mitte Februar. Wenn jetzt nicht mehr vom Himmel fällt, wenn dann? Dieses Elend sich ansehen zu müssen ist schlimm“, dachte Gel und beschloss den Bürgern eine Freude zu bereiten, die sie nicht so schnell vergessen sollten.

Die nächsten Tage spendete er ihnen weißen Segen, bis niederfallende Schneemassen sich zu Bergen auftürmten und es unmöglich machten auf der Straße zu fahren. Mit einer frischen Brise fegte er den üblen Stadtgeruch hinweg und lies die Bürger sauerstoffreiche Luft atmen. Was er nicht wissen konnte war, dass Maste und Bäume solch ungewöhnlichen Lasten nicht stand hielten. Sie knickten ein und der daraus folgende Stromausfall legte die ganze Stadt lahm. Es kehrte eine gespenstige Ruhe ein, die nur manchmal durch das Heulen eines Martinshorns unterbrochen wurde. Ohne diesen ohrenbetäubenden Krach hätten sich die Waldgeister beinahe wie zu Hause gefühlt.

Warum gingen die Leute bloß nicht ins Freie? Anstatt die weiße Pracht zu genießen, blieben sie in ihren Steinbauten.
Eine Amsel zwitscherte ihr Leid, weil das Vogelhäuschen trotz mehrerer Anflüge leer blieb. Normalerweise war es immer gut gefüllt, doch jetzt schien es keinen Nachschub mehr zu geben.
„Wenn dieses Unwetter noch lange anhält werden wir noch verhungern. Den Menschen ergeht es auch nicht viel besser. Sie sitzen in ihren Häusern und zittern wie nie zuvor. Bald erfriert noch einer in seiner Wohnung. Womit haben wir das verdient?“
Gel hörte bestürzt zu. Er war sich zwar keiner Schuld bewusst, doch offensichtlich mussten Menschen und Tiere wegen ihm leiden. Das hatte er nicht gewollt. Angestrengt dachte er nach, wie er den angerichteten Schaden wieder gut machen konnte.
Der Wind kam ihm zu Hilfe.
„Na ihr beiden, ist wohl nicht alles so gelaufen, wie ihr dachtet. Andere Länder, andere Lebensweisen. Da muss man sich anpassen, oder es gibt ein Unglück.“, raunte er in die Ohren der Trolle.
„Ach Vetter, was kann ich nur tun um alles wieder rückgängig zu machen?“, klagte Gel. Rai konnte es sich nicht verkneifen über seinen Bruder zu schimpfen.
„Ruhe jetzt!“, wurde Rai angepfiffen.
Über Gels Kopf strich der Wind jedoch sanft.
„Lass Mal den Kopf nicht hängen. Stromausfall ist hier nichts Neues. Ein Trupp zum reparieren ist schon unterwegs. Du kannst allerdings helfen die Masten aufzurichten. Dann geht es schneller und in den Häusern der Menschen wird es wieder warm.
Und zu Rai gewandt meinte er:
„Was hältst du davon die Straßen frei zu fegen? Das sind diese Steinwege, über die ihr euch gewundert habt“.
Rai war mit dieser Aufgabe einverstanden. Sicherlich würde ihm es ihm sogar Spaß machen den Schnee wegzustäuben.
Er hatte viel zu tun, bis alle Wege geräumt waren. Hinter ihm bildete sich eine Schlange aus Lastwagen. Das erste Mal in seiner Existenz war Rai an der Spitze einer Gruppe. – Er fand es großartige, so wichtig zu sein.

Gel half inzwischen die umgefallenen Masten aufzurichten. Dabei lernte er die Menschen ein bisschen näher kennen. Zuerst waren sie erstaunt, dass ihre Tätigkeit so leicht von der Hand ging. Unheimlich wurde ihnen erst, als ein Träger in der Luft schwebte und sie ihn nur noch ins vorbereitete Erdloch dirigieren mussten.
„Was geht hier vor? Das ist doch nicht normal!“, wunderten sich die Arbeiter. Gel musste kichern.
„Keine Bange, ich will mich doch nur nützlich machen. Gemeinsam werden wir schneller fertig“.
Seine Stimme wurde gehört, doch keiner konnte den Helfer sehen.
„Wer, oder was bist du?“, fragten die Männer, deren Nackenhaare sich sträubten.
„Ich bin ein Troll und mache hier Urlaub, was dagegen?“
„Troll – nie gehört das Wort. Warum zeigst du dich uns nicht?“
„Aber ihr müsst mir versprechen, niemanden etwas von meiner Anwesenheit zu verraten“.
„Ehrenwort“, tönte es aus der Runde.
Wie gewünscht erschien ein kleines, dickliches Männlein in ihrer Mitte. Es trug einen warmen Anorak, dessen fellbesetzte Kapuze tief ins Gesicht gezogen war. Daraus ragte eine überdimensionale Nase hervor, die sich zwischen zwei freundlich zwinkernden Augen breit machte. Am beeindruckendsten waren jedoch seine Patschehändchen, die kräftig zupacken konnten. Das Kerlchen sah so hässlich aus, dass man es fast schon wieder als hübsch bezeichnen konnte.
„So, jetzt genug gestaunt, wir haben noch was zu erledigen“, trieb Gel die Männer an.
„Ich stelle die Masten und ihr müsst nur noch das Kabel anschließen. Damit kenne ich mich nicht aus“.
Gesagt, getan. In kürzester Zeit, hatten alle Stadtbewohner wieder Strom und die Arbeiter freuten sich über eine satte Prämie, die nun wegen ihres schnellen Einsatzes fällig war.
Das gegenseitige Abschied nehmen fiel allen Beteiligten schwer. Alles Zureden, den hilfreichen Troll noch zum Bleiben zu überreden, nutzte nichts. Gel wollte nach Hause.

Gemeinsam mit Rai, rief er den Wind zur Hilfe. In diesem Urlaub hatten sie genug erlebt.
Ein letztes Mal fegte Sturm über die Stadt, der die Fremdlinge in ihr Heimatland trug. Danach setzte in der Stadt das ersehnte Tauwetter endlich ein.

Glücklich kamen die Walgeister zu Hause an. Neugierig wurden sie von ihren Artgenossen befragt. Gel und Rai fingen an zu erzählen. Mit der Wahrheit nahmen sie es nicht so genau, doch von ihren Heldengeschichten waren Jung und Alt begeistert.
Und wenn ihnen die Fantasie treu geblieben ist, dann erzählen sie noch heute.

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