Donnerstag, 14. April 2011

Märzmärchen - Bruderzwist


Im Wald herrschte Eiseskälte. Zierliche Elfen schwebten bibbernd im Dickicht des Waldes umher. Ihre zarten Flügel waren vor Kälte ganz steif geworden, sodass ihnen das Fliegen schwer fiel.
„Wo bleibt der Frühling nur?“, fragten sie einander ungeduldig.
Sie trugen hauchdünne Kleidchen, die im Winter keinen Schutz gegen den grimmigen Frost boten. Alle Elfen sehnten den Frühling herbei - wie schön ist es, wenn zartes Grün durch feuchten Boden stößt, die ersten Blumen sich entfalten und Sonnenstrahlen graue Wolkengebirge durchbrechen. Auch ihr Dasein wird dann leichter und fröhlicher.
So sehr sich die kleinen Wesen auch umschauten, nur Schneeglöckchen und Gelblinge kündigten an, dass im Jahresbuch schon März stand.
Bäume stöhnten bereits. Auf ihren Ästen lag immer noch Schnee, es war viel zu kalt, sich mit aufbrechendem Grün zu bekleiden.

„Mir reicht’s, ich werde den Winter besuchen und ihn fragen, wann er sich endlich zurückzieht!“, kündigte Ranja an. Sie war die mutigste der Elfen.
„Pass bloß auf, dass er dir nichts antut“, warnten ihre Schwestern ängstlich.
Doch Ranja hielt an ihrem Entschluss fest.
Auf dem Weg zum Winter verließ sie jedoch der Mut, und es stiegen Zweifel in ihr auf. Noch nie hatte sie ihm gegenüber gestanden. Wie würde er sie empfangen? Tausend Gedanken schwirrten in ihrem Kopf herum. Um die Furcht zu vertreiben, pfiff Ranja laut vor sich hin.

Plötzlich schreckte sie auf.
„Wer stört?“, schallte es bedrohlich in ihren Ohren.
Vor ihr stand ein älterer Mann, eingehüllt in dicke Winterkleidung. Eine fellbesetzte Kapuze war tief ins Gesicht gezogen. Eiskristalle zierten buschige Augenbrauen und den bis zum Knie reichenden Kinnbart.
Am liebsten hätte sich Ranja unsichtbar gemacht.
„Ich bin’s, Ranja, und suche den Winter.“
„Hast ihn gefunden, was willst du von mir?“, fragte der Winter barsch.
„Ich möchte Euch etwas fragen.“
„Blödsinn, von mir will keiner was wissen. Los, raus mit der Sprache. Warum bist du hier? Bestimmt willst du mich vertreiben, aber das lass ich nicht zu. - Noch nicht!“
Eisiger Hauch ließ Ranjas Flügel erstarren. Beinahe wären sie zerbrochen. Die Elfe bekam Angst.
„Haltet ein! Ich bitte Euch. Denkt doch mal nach, wie könnte ein schwaches Wesen, wie ich, Euch vertreiben?“
„Hm. – Hast Recht, das geht nicht. Also, warum hast du mich gesucht?“, die Stimme war etwas freundlicher geworden.
„Ich wollte Euch fragen, wann Ihr das Wetter dem Frühling überlasst.“
„Hatte ich doch gleich Recht! Du gehörst auch zu denen, die mich nicht früh genug loswerden, aber noch kann ich mich wehren!“
Der Winter warf Eiszapfen nach Ranja, doch sie wich den Geschossen geschickt aus.
„Ich möchte doch nur mit Euch reden, was ist daran so schlimm?“
„Du bist böse.“
„Bin ich nicht.“
„Bist du doch.“
„Nein.“
„Du hasst mich.“
„Wieso sollte ich das tun?“
„Weil ich kalt bin.“
„Aber das ist doch gut so.“
Diese Antwort hatte der Winter nicht erwartet. Sie machte ihn neugierig.
„Meinst du das wirklich?“
„Elfen lügen nicht.“
„Warum hast du dann nach dem Frühling gefragt?“
„Können wir in Ruhe darüber reden?“
„Nur, wenn du aufhörst, ständig um mich herumzuflattern.“
„Lasst erst Eure Eiszapfen fallen.“
Mit einem Lächeln legte er seine Waffen nieder.
„Hab dir ganz schön Angst gemacht, stimmt’s?“
Außer Puste geraten, setzte sich Ranja auf einen Stein.
„So schnell bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht geflogen“.
„Selber schuld, was fragst du auch nach dem Frühling? Er ist mein ärgster Feind.“
„Wieso denn? Ich dachte, er wäre Euer Bruder.“
„Ist er auch. Jeder freut sich auf ihn und kann es nicht erwarten, bis er mich besiegt hat. So etwas verbittert, ich kann ihn nicht leiden.“
„Habt ihr vergessen, wie sehnsüchtig nach dem ersten Schnee Ausschau gehalten wird? Liebevoll deckt ihr die Erde mit einer weißen Decke zu. Unter ihrem Schutz können die Pflanzen ruhen und neue Kräfte sammeln.
Außerdem feiern Menschen ihr schönstes Fest im Winter. So wichtig und wertvoll seid Ihr. Doch nach einer bestimmten Zeit müsst Ihr das Wetter dem Frühling überlassen. Der wird dem Sommer weichen, und dieser wiederum übergibt das Regiment dem Herbst. So und nur so funktioniert Mutter Natur.“
„Du meinst, ich muss nicht eifersüchtig sein?“
„Ganz und gar nicht. Alle Jahreszeiten haben ihre Berechtigung. Jede nimmt und gibt gleichermaßen, keine kommt zu kurz.“
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“
„Versöhnt Euch mit Eurem Bruder und lasst die Streitereien, sie führen zu nichts.“
„Jedes Jahr vertreibt mich der Frühling aufs Neue. Immer bin ich ihm unterlegen, deshalb wird es keinen Frieden zwischen uns geben.“
Ranja sah ein, dass dieser Konflikt tiefere Ursachen hatte. Nur durch Einsicht des Winters konnten sie gelöst werden. Sie fühlte sich hilflos und das machte sie sehr zornig.
„Frühling, Sommer, Herbst und Winter helfen beim Wachsen und Gedeihen der Pflanzen. Jede Jahreszeit wird gleichermaßen gebraucht. Eure Aufgabe ist es, der Natur eine Verschnaufpause zu schenken und die endet mit dem Erscheinen Eures Bruders. Ich warne Euch, es gibt es auf der Erde Länder, die kennen gar keinen Winter, und trotzdem erblüht reichhaltig das Leben. Passt gut auf, wenn Ihr so weiter macht, dann werdet Ihr einfach weggelassen.“
Noch verschlafen erschien der Frühling und rieb seine Augen. Er war zwar noch klein und trug einen spärlich bestickten Anzug, aber die von ihm ausströmende frische Kraft überzeugte auch so.
„Was ist los? Weshalb streitet ihr euch?“, wollte er wissen. An Ranja richtete er die Frage:
„Was hast du hier zu suchen?“
„Aber ich…doch nur…“, vor Überraschung bekam sie kaum ein Wort heraus.
Schützend stellte sich der junge Frühling vor den schwach gewordenen alten Winter. Der konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, deshalb wurde er von seinem Bruder unter den Armen gestützt.
„Ruh dich ruhig aus. Ich denke, deine Zeit ist nun um“, sagte der Frühling beruhigend.
Warmer Wind begleitete ihn.
Ranjas Flügel tauten auf und gewannen ihre ursprüngliche Beweglichkeit wieder.
Fassungslos bemerkte die Elfe, wie ihr Besuch missverstanden wurde.
„Ihr tut mir unrecht. Ich wollte Eurem Bruder nichts Böses antun. Dass er sich jetzt so schlecht fühlt, liegt an Eurer ausstrahlenden Wärme. Gern hätte ich gesehen, dass er nicht leiden muss und sich würdevoll verabschieden kann. Nur deshalb habe ich ihn aufgesucht, etwas anderes hatte ich nicht vor.“

„Sag kleine Elfe, würdest du mich auch mal im Dezember besuchen? Dann bin ich jung und kräftig und wir könnten uns bunt strahlende Lichterketten ansehen. Es war schön, dich kennenzulernen. Als Einzig hältst du noch zu mir. Das zu wissen erleichtert mir den Abschied.“, sagte der Winter mit letzter Kraft.
Seine Stimme wurde leiser, doch in den Augen lag ein Hoffnungsschimmer.
„Gern“, rief Ranja. „Ich denke, dass wir richtig gute Freunde werden.“
Lächelnd winkte sie dem scheidenden alten Mann zu.

„Was sind schon bunte Lichterketten gegen das Aufblühen prächtiger Blumen?“, fragte der Frühling erstaunt.
„Weil es im Winter an Farben fehlt, schmücken die Menschen ihr Fest mit leuchtenden Lampen. Das sieht zwar toll aus, ist aber nur künstlicher Schein.“, bekam er als Antwort.
„Ihr dagegen verkörpert neues Leben. Aber das könnt Ihr nur, weil der Winter zuvor Ruhe und Erholung auf Erden bringt. Ohne ihn, würden wir Eure Zeit nicht schätzen.
Schaut nur, da kommen die Tiere. Sie haben mächtigen Hunger. Ihr habt viel zu tun, bis alle wieder satt werden können und da möchte ich Euch nicht länger aufhalten. Ich wünsche Euch viel Freude an der Aufgabe.“
„Wirst du mich auch besuchen?“
„Wenn es Euch Recht ist, dann hätte ich am ersten Mai Zeit. Nun muss ich aber los, meine Schwestern erwarten mich.“

Erleichtert flog sie nach Hause, ihre Mission war beendet. Unterwegs begrüßten sie die aufblühenden Krokusse und Weidenkätzchen winkten ihr freudig zu.

Februarmärchen - Zwei Waldgeister in der Fremde.


„Diese Langeweile ist unerträglich“, stöhnte Troll Gel im hohen Norden Schwedens.
„Immer die gleiche Umgebung und Menschen Ärgern macht auch nicht mehr so viel Spaß wie früher. Ich glaub, ein Urlaub würde uns beiden gut tun“.
„Urlaub? Wieso willst du Urlaub machen? Hier geht es uns doch gut. Wenn´s dem Esel zu bunt wird, dann geht er aufs Glatteis. Apropos Glatteis, davon könnten wir ruhig etwas mehr gebrauchen. Es ist so lustig, wenn die Leute aufrecht gehen wollen, ihre Beine jedoch unterm Hintern wegrutschen. Dann rudern sie mit den Armen, als würden sie fliegen lernen. Genutzt hat es bisher keinem, alle landen doch auf dem Hosenboden. Ich kann mich gar nicht daran satt sehen. Macht es dir denn gar keine Freude mehr?“, erwiderte Rai, sein Zwillingsbruder.
„Doch schon, aber ich bekomme langsam ein schlechtes Gewissen. Die Leute respektieren uns. Eigentlich sind sie ganz lieb und wir amüsieren uns auf ihre Kosten.“, gab Gel zu bedenken.
Rai formte einen großen Schneeball und warf ihn mitten in Gels Gesicht.
„Hier hast du meine Antwort zum Thema schlechtes Gewissen. Stell dich nicht so an und spiel mit mir“. Es begann eine wilde Schneeballschlacht der Gel nur heil entkommen konnte, indem er die auf ihn zu fliegenden Geschossen durch kräftige Windböen abwies.
Da beide Geister waren, die im Eifer des Gefechts vergaßen sich festzukrallen, wurden sie in den Himmel gehoben.
„He, Wind, was tust du da? Lass uns wieder runter“, rief Gel seinem stürmischen Vetter zu.
„Habe ich eben gerade nicht etwas von Urlaub gehört?“, bekam er als Antwort.
„Ihr könnt mir vertrauen, ich bringe euch in ein Land, in dem alles anders ist. Das wird bestimmt spannend“.
Staunend betrachteten sie das intensive Licht über den Wolken. In einer Stadt, die hinter dem großen Wasser lag, sanken sie langsam zu Boden.
Häuser, in denen es sich Menschen gemütlich machen, kannten sie. Doch nahe den Wäldern Schwedens waren sie meistens aus Holz gefertigt. Dort, wo sie hingetrieben wurden, gab es nur Steinbauten. Sogar die Wege schienen aus Stein zu sein. Kaum ein Pflänzchen lockerte den einheitlich grauen Anblick auf.
„Wo sind wir? Ich will nach Hause, hier gefällt es mir nicht“, jammerte Rai.
„Wart’s ab, wenn wir schon Mal da sind, dann möchte ich mich auch in Ruhe umsehen. An diesem Ort riecht es merkwürdig. Ich höre auch kaum Vogelgezwitscher, jedoch viel Lärm von den seltsamen Wegen herkommend“
„Und wo sollen wir wohnen?“. fragte Rai besorgt.
Nach einem kleinen Erkundungsflug fanden sie den Stadtpark. Dort gab es zwar auch Bäume in denen sich die Trolle verstecken konnten, aber im Vergleich zu einem richtigen Wald, war es nur ein Notbehelf.
Noch nie hatten sie Pflanzen gesehen, denen ihr freies Wachstum beschnitten wurde. Mehr und mehr wurde Gel auf die Bewohner der Stadt neugierig.
Wenigstens fing es an zu schneien. Das machte ihren Aufenthalt etwas angenehmer. Fein herunterrieselnde Flocken bedeckten nur wenig die kahlen Äste. Die Trolle waren enttäuscht. Kinder jedoch, die gerade aus der Schule kamen jubelten. Sie kratzten das bisschen Schnee zusammen und bewarfen sich mit schmutzigen Eisbällen.
Langsam füllte sich der Park mit Menschen. Alle freuten sich über das stimmungsvolle Wetter. Doch kaum überzog hauchdünnes Weiß den Ort, hörte es auch schon wieder auf zu schneien.

„War das etwa schon alles? Es ist Mitte Februar. Wenn jetzt nicht mehr vom Himmel fällt, wenn dann? Dieses Elend sich ansehen zu müssen ist schlimm“, dachte Gel und beschloss den Bürgern eine Freude zu bereiten, die sie nicht so schnell vergessen sollten.

Die nächsten Tage spendete er ihnen weißen Segen, bis niederfallende Schneemassen sich zu Bergen auftürmten und es unmöglich machten auf der Straße zu fahren. Mit einer frischen Brise fegte er den üblen Stadtgeruch hinweg und lies die Bürger sauerstoffreiche Luft atmen. Was er nicht wissen konnte war, dass Maste und Bäume solch ungewöhnlichen Lasten nicht stand hielten. Sie knickten ein und der daraus folgende Stromausfall legte die ganze Stadt lahm. Es kehrte eine gespenstige Ruhe ein, die nur manchmal durch das Heulen eines Martinshorns unterbrochen wurde. Ohne diesen ohrenbetäubenden Krach hätten sich die Waldgeister beinahe wie zu Hause gefühlt.

Warum gingen die Leute bloß nicht ins Freie? Anstatt die weiße Pracht zu genießen, blieben sie in ihren Steinbauten.
Eine Amsel zwitscherte ihr Leid, weil das Vogelhäuschen trotz mehrerer Anflüge leer blieb. Normalerweise war es immer gut gefüllt, doch jetzt schien es keinen Nachschub mehr zu geben.
„Wenn dieses Unwetter noch lange anhält werden wir noch verhungern. Den Menschen ergeht es auch nicht viel besser. Sie sitzen in ihren Häusern und zittern wie nie zuvor. Bald erfriert noch einer in seiner Wohnung. Womit haben wir das verdient?“
Gel hörte bestürzt zu. Er war sich zwar keiner Schuld bewusst, doch offensichtlich mussten Menschen und Tiere wegen ihm leiden. Das hatte er nicht gewollt. Angestrengt dachte er nach, wie er den angerichteten Schaden wieder gut machen konnte.
Der Wind kam ihm zu Hilfe.
„Na ihr beiden, ist wohl nicht alles so gelaufen, wie ihr dachtet. Andere Länder, andere Lebensweisen. Da muss man sich anpassen, oder es gibt ein Unglück.“, raunte er in die Ohren der Trolle.
„Ach Vetter, was kann ich nur tun um alles wieder rückgängig zu machen?“, klagte Gel. Rai konnte es sich nicht verkneifen über seinen Bruder zu schimpfen.
„Ruhe jetzt!“, wurde Rai angepfiffen.
Über Gels Kopf strich der Wind jedoch sanft.
„Lass Mal den Kopf nicht hängen. Stromausfall ist hier nichts Neues. Ein Trupp zum reparieren ist schon unterwegs. Du kannst allerdings helfen die Masten aufzurichten. Dann geht es schneller und in den Häusern der Menschen wird es wieder warm.
Und zu Rai gewandt meinte er:
„Was hältst du davon die Straßen frei zu fegen? Das sind diese Steinwege, über die ihr euch gewundert habt“.
Rai war mit dieser Aufgabe einverstanden. Sicherlich würde ihm es ihm sogar Spaß machen den Schnee wegzustäuben.
Er hatte viel zu tun, bis alle Wege geräumt waren. Hinter ihm bildete sich eine Schlange aus Lastwagen. Das erste Mal in seiner Existenz war Rai an der Spitze einer Gruppe. – Er fand es großartige, so wichtig zu sein.

Gel half inzwischen die umgefallenen Masten aufzurichten. Dabei lernte er die Menschen ein bisschen näher kennen. Zuerst waren sie erstaunt, dass ihre Tätigkeit so leicht von der Hand ging. Unheimlich wurde ihnen erst, als ein Träger in der Luft schwebte und sie ihn nur noch ins vorbereitete Erdloch dirigieren mussten.
„Was geht hier vor? Das ist doch nicht normal!“, wunderten sich die Arbeiter. Gel musste kichern.
„Keine Bange, ich will mich doch nur nützlich machen. Gemeinsam werden wir schneller fertig“.
Seine Stimme wurde gehört, doch keiner konnte den Helfer sehen.
„Wer, oder was bist du?“, fragten die Männer, deren Nackenhaare sich sträubten.
„Ich bin ein Troll und mache hier Urlaub, was dagegen?“
„Troll – nie gehört das Wort. Warum zeigst du dich uns nicht?“
„Aber ihr müsst mir versprechen, niemanden etwas von meiner Anwesenheit zu verraten“.
„Ehrenwort“, tönte es aus der Runde.
Wie gewünscht erschien ein kleines, dickliches Männlein in ihrer Mitte. Es trug einen warmen Anorak, dessen fellbesetzte Kapuze tief ins Gesicht gezogen war. Daraus ragte eine überdimensionale Nase hervor, die sich zwischen zwei freundlich zwinkernden Augen breit machte. Am beeindruckendsten waren jedoch seine Patschehändchen, die kräftig zupacken konnten. Das Kerlchen sah so hässlich aus, dass man es fast schon wieder als hübsch bezeichnen konnte.
„So, jetzt genug gestaunt, wir haben noch was zu erledigen“, trieb Gel die Männer an.
„Ich stelle die Masten und ihr müsst nur noch das Kabel anschließen. Damit kenne ich mich nicht aus“.
Gesagt, getan. In kürzester Zeit, hatten alle Stadtbewohner wieder Strom und die Arbeiter freuten sich über eine satte Prämie, die nun wegen ihres schnellen Einsatzes fällig war.
Das gegenseitige Abschied nehmen fiel allen Beteiligten schwer. Alles Zureden, den hilfreichen Troll noch zum Bleiben zu überreden, nutzte nichts. Gel wollte nach Hause.

Gemeinsam mit Rai, rief er den Wind zur Hilfe. In diesem Urlaub hatten sie genug erlebt.
Ein letztes Mal fegte Sturm über die Stadt, der die Fremdlinge in ihr Heimatland trug. Danach setzte in der Stadt das ersehnte Tauwetter endlich ein.

Glücklich kamen die Walgeister zu Hause an. Neugierig wurden sie von ihren Artgenossen befragt. Gel und Rai fingen an zu erzählen. Mit der Wahrheit nahmen sie es nicht so genau, doch von ihren Heldengeschichten waren Jung und Alt begeistert.
Und wenn ihnen die Fantasie treu geblieben ist, dann erzählen sie noch heute.

Mittwoch, 13. April 2011

Januarmärchen - Eisprinzessin Einar


Eisprinzessin Einar

Es dämmerte bereits. als ein dreizehnjähriges Mädchen alleine durch den Stadtpark ging und seinen Lieblingsplatz anstrebte. Auf einer Bank, die direkt am Teich stand, ließ es sich seufzend nieder. Tief in Gedanken versunken bemerkte es nicht, wie die beißende Kälte Besitz von seinem zarten Körper ergriff. Hauchdünne Schneeflocken rieselten auf die Kleidung herab und bedeckten sie bald mit einer weißen Schicht. Nichts von dem schien es zu bemerken. Das Kind saß bewegungslos da. Der Schmerz legte sich wie ein eisernes Band um sein kleines Herz und drohte es zu zerdrücken. Tränen brachen hervor und liefen die Wangen herab. Plötzlich sprang es auf. Ja, das wollte es tun. Ins Wasser gehen und sterben. Eine andere Lösung gab es nicht.

Langsam hob es einen Fuß nach dem anderen, um in die Fluten einzutauchen. Gleich musste kaltes Wasser in seine Stiefel eindringen, doch nichts geschah. Eisschollen bildeten sich genau dort, wo es den Fuß aufsetzte. Noch traute das Mädchen dem Wunder nicht und rechnete damit jeden Augenblick einzubrechen. Da es aber sowieso vorhatte zu versinken, ging es weiter, bis fast die Mitte des kleinen Sees erreicht war. Übers Wasser gehen zu können machte ihm so viel Spaß, dass es darüber seinen Kummer vergaß. Rechts und links von ihm schnatterten aufgeregte Enten, die im eisfreien Wasser schwammen. Den Tieren war das merkwürdige Menschenkind unheimlich.

„Wenn du nicht bald nach Hause gehst, ist der ganze Teich zugefroren“.
Eine freundliche Stimme riss das Kind aus seiner Freude über das ungewöhnliche Schauspiel heraus. Neugierig sah es sich um. Neben ihm stand eine bildschöne junge Frau. Sie trug keine Winterkleidung, sondern nur ein feines Kleid, das mit weißen Sternen bestickt war. Lange, dunkle Haare fielen über ihre Schultern und auf dem Haupt glänzte eine Krone aus geschwungenen Eiszapfen. Dieses Wesen war so zart, dass es fast durchsichtig zu sein schien.
Bist du eine Fee?“, fragte das Mädchen erstaunt.
„Nicht ganz, ich bin die Eisprinzessin“, antwortete sie lächelnd.
„Entschuldigung Eure Hoheit, dass ich Euch nicht erkannt habe“.
„Wenn du willst kannst du mich Einar nennen. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Ich bin die Klara“
Zweifelnd fügte das Mädchen hinzu.
„Erlebe ich das wirklich, oder ist alles nur ein Traum? Eine richtige Eisprinzessin gibt es doch gar nicht“.
„Achte auf deine Worte Klara. Wenn es mich nicht gäbe, dann würdest du jetzt auf dem Grund des Sees liegen“.
Klara senkte den Kopf.
„Aber ich wollte doch wirklich sterben Einar, warum hast du es nicht zugelassen? Noch einmal schaffe ich es nicht. Bis ich zu diesem Schritt bereit war, kostete es mich große Überwindung“.
„Du bist so jung, dein Leben wird dir noch viel Schönes schenken. Sich zu töten ist immer der falsche Weg. Egal aus welchem Grund du ihn wählst.
Hast du Mal an deine Eltern gedacht? Ist dir klar, was du ihnen antun würdest? Sie lieben dich, was empfindet du für sie?“
„Papa und Mama habe ich sehr lieb. Bei Jens ist das doch etwas ganz anderes. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Doch jetzt hat er eine Andere geküsst“.
„Ach so – du hast Liebeskummer. In deinem Alter, das erklärt einiges. Selbst Erwachsene können damit nur schwer umgehen. Komm mit, ich möchte dir etwas zeigen“.

Prinzessin Einar gab ein Zeichen.
Zwei weiße Pferde erschienen, die einen Schlitten zogen.
Als beide im Schlitten Platz genommen hatten, erhoben sie sich in den Himmel. Langsam wurden Konturen eines Schlosses sichtbar, dessen Mauern aus glatt polierten Eisblöcken bestanden. Noch fiel etwas Licht auf das Gebäude und brach sich in allen erdenklichen Farben.
„Das ist mein Heim. Nicht einfach nur weiß, wie Märchenbücher die Kinder glauben lassen möchte, sondern…, ach, das kannst du ja selbst sehen, sei willkommen“.
Klara war überwältigt von der leuchtenden Vielfalt. Zögernd folgte sie ihrer Gastgeberin ins Innere hinein. Auch dort kam sie aus dem Staunen nicht heraus. Alles war so unwirklich, kein Kratzer spiegelte sich an den Wänden. Ihr wurde schwindlig, weil sie keinen Anhaltspunkt fand um sich zu orientieren.
Einar ergriff ihre Hand und sagte:
„Ich möchte, dass du dir genau ansiehst, was in der Vergangenheit geschah“.

Vor einer Wand erschien plötzlich der Ort, in dem Klara zu Hause war. Als würde sie den Straßen entlang schlendern, entdeckte sie Meike neben sich gehen. Sie war eine Klassenkameradin, die Klara noch nie leiden konnte. Zielstrebig ging Meike auf das Haus zu, in dem Jens wohnte. Vor der Eingangstür zupfte das Mädchen ein letztes Mal an seiner Kleidung. Es war alles in Ordnung, auch die Frisur saß perfekt. Verführerisch stellte es sich in Position und drückte auf den Klingelknopf.
Jens öffnete.
Sichtbar enttäuscht Meike vorzufinden, fuhr er sie mit barschem Ton an:
„Was willst du denn schon wieder?“
Das klang nicht gerade nach einem Willkommensgruß.
Davon unbeeindruckt fiel Meike ihm um den Hals und küsste ihn zärtlich. Jens war so perplex, dass er sich nicht wehrte.
Genau in diesem Moment entdeckte Klara die beiden. Als ob ein glühendes Schwert ihr Herz durchbohren würde, rannte sie vor diesem Anblick davon. Deshalb konnte sie auch nicht hören, wie Jens kurz darauf Meike beschimpfte. Gedemütigt schlich sie sich weinend nach Hause.
Das Bild verschwand und die Wand wurde wieder weiß.

Klara war erleichtert.
„Das hat Jens wirklich gesagt? Oder machst du mir nur etwas vor, damit ich nicht gleich wieder auf dumme Gedanken komme?“
„Dumme Gedanken sind genau die richtigen Worte. Es zeigt, dass ich mir keine Sorgen mehr um dich machen muss.
An der Vergangenheit kann ich nichts ändern, sie ist abgeschlossen. Alles geschah genauso, wie du es gesehen hast.“, antwortete Einar.
„Warum hast du dann diese Wand, wozu soll sie gut sein?“
Einar drehte Klaras Kopf leicht herum.
Plötzlich erschien ihr schimpfender Vater.
„Wo bleibt das Mädchen nur, es wird schon dunkel. Klara sollte schon längst da sein“.
„Um sich Sorgen zu machen ist es noch viel zu früh“, beruhigte die Mutter ihren Mann.
„Immer hältst du zu ihr. Ich habe in diesem Haus gar nichts mehr zu sagen!“,
wütend schlug der Vater die Küchentür zu.

„Das ist die Gegenwart. Hier kann ich nur eingreifen, wenn kein anderer Mensch mich sieht. So wie ich es bei dir getan habe. Hätte ich dich ins Wasser gehen lassen, wäre das Leben deiner Eltern auch zerstört gewesen. Sie würden diesen Schock nicht überwinden und sich immer Vorwürfe machen. Eine ganze Familie wäre ins Unglück gestoßen worden, bloß weil du einen Teil der Wirklichkeit nicht mitbekommen hast“.
„Kannst du auch in die Zukunft sehen?“
„Nein, die Zukunft bleibt sogar mir verborgen und das ist gut so. Jetzt wird es aber Zeit, dass du nach Hause kommst“.

Einar setzte das Mädchen vor derselben Bank ab, bei der es ihr aufgefallen war.
Kaum war Klara aus dem Schlitten gestiegen, wurde ihr kalt und sie lief eilig heim.
Ihr Vater drückte seine Kleine ganz fest an sich und ihre Mutter fragte, einen triumphierendem Blick auf ihren Mann gerichtet;
„Es ist ziemlich spät geworden, sag Mal, wo hast du eigentlich gesteckt?“
„Die ganze Zeit war ich bei Einar. Sie hat gut auf mich aufgepasst, damit mir nichts passiert und ich habe viel bei ihr gelernt.
„Wer ist Einar und woher kennst du sie?“.
„Ach Mama, ich würde es dir so gerne erzählen, aber das glaubt mir kein Mensch – nicht einmal du“.