Rotkäppchen und der hungrige Wolf
Es war einmal, da eilte ein junges Mädchen durch den Wald zu
einer Hütte, in der seine Oma lebte. In Händen hielt das Kind einen Korb aus
dem es verlockend nach Gesottenem und Gebratenem duftete. Jeden Tag machte es
sich auf den Weg, um die alte Frau mit Mahlzeiten zu versorgen. Bei ihm zu
Hause wurde Großmutter nicht mehr geduldet da sie unter Gedächtnisschwund litt,
was zu ständigen Zerwürfnissen mit ihrem Sohn führte. Das kleine Mädchen liebte
seine Oma sehr und verbrachte fast jede freie Minute mit ihr. Gern half es ihr
sich zu erinnern und lauschte geduldig den Erzählungen der Alten. Beide lachten
herzhaft miteinander und musizierten, dass es eine Freude war ihnen zuzuhören.
Als der Winter kam, machte sich seine Mutter große Sorgen,
denn der Weg wurde immer beschwerlicher.
Doch alles Bitten und Zureden bei ihrem Mann half nichts. So lange Oma sich
nicht an bestimmte Dinge erinnern würde, musste sie im Walde leben. Verbannt
von der Familie, weit fort von ihrem Sohn.
Aus diesem Grunde lief das Mädchen auch bei tiefem
Schneegestöber zu seiner Oma, die Töpfe gefüllt mit leckerem Essen. Bei allen
Wegen setzte es sich ein rotes Käppchen auf, das wärmte und weithin sichtbar
war. Dies stand ihm so gut, dass es von jedermann nur noch Rotkäppchen genannt
wurde.
Eines Tages, Rotkäppchen war gerade bei Großmutter
angekommen, klopfte es stürmisch an der Tür des Häuschens. Verwundert öffnete
das Kind, doch noch mehr staunte es als ein prachtvoller Wolf um Einlass bat.
Er habe großen Hunger gestand er und würde zu gerne mit den beiden Frauen
speisen, es solle auch ihr Schaden nicht sein.
Großmutter wollte den Wunsch des Tieres sogleich gewähren, doch
ihre Enkelin erhob Einwände. Zuerst müsse der Wolf zeigen, dass er sich
gesittet benehmen könne, dann würde er an ihrem Tisch willkommen sein. Dazu
gehören unter anderem auch, sich die Pfoten zu waschen, auf dass jede Kralle blitzblank
glänzte.
Der Wolf wurde ungehalten ob den strengen Bedingungen
Rotkäppchens, die er kaum erfüllen konnte. Ließ sie ihn aber am Essen
schnuppern, dann fügte er sich ergeben und gab sich die größte Mühe. Siehe da,
das Unmögliche geschah, bald saßen sie zu dritt am Tisch und ließen es sich
munden. Kaum waren alle satt geworden, erhob sich der Wolf, dankte artig und
erinnerte an sein zuvor gegebenes Versprechen.
Weil beide Frauen den Tisch mit ihm geteilt hatten und der
Mär vom bösen Wolf keinen Glauben schenkten, wolle er sich erkenntlich zeigen
und Großmutter von ihrem Gedächtnisverlust befreien. Nur so könne sie wieder
als wissende Magierin zu ihrer ursprünglichen Bestimmung finden und Märchen mit
der realen Welt von Menschen vereinen. Nur eine weise Frau wie sie sei fähig, Träume
in denen alles möglich war, bei erwachsenen Menschen wieder aufleben zu lassen.
Ein Fluch habe sie einst getroffen von dem sie nur erlöst werden konnte, wenn
ein wildes Tier bei ihr Aufnahme finden würde. Dies sei nun geschehen und
deshalb wünsche er ihr gutes Gelingen in der Zukunft.
Rotkäppchens Oma wusste, dass eine große Verantwortung auf
ihr lag und war bereit diese Bürde auf sich zu nehmen.
„Und du mein lieber Wolf, was ist dein Begehr?“, wollte sie
wissen.
„ Ach nichts weiter“, druckste er herum. „ Es ist nur so,
dass ich mich unsterblich in eure Enkelin verliebt habe.“
„Nanu, obwohl sie von euch so unnachgiebig auf menschliches
Benehmen bestand?“
„Sie war stur, mutig, selbstbewusst, verlässlich und liebevoll
euch gegenüber. Ich bewundere sie, eine bessere Partnerin vermag ich nicht zu
finden. Bitte erlaubt, dass ich um ihre Hand anhalte.
Großmutter hätte eine Vermählung zwischen dem Wolf und
Rotkäppchen gern gesehen, doch dazu war das Mädchen noch viel zu jung. Außerdem
hatten ihre Eltern in dieser Angelegenheit auch noch ein Wörtchen mitzureden.
Deshalb beschränkte sich die Magierin
darauf, den ungewöhnlichen Freier in menschlichen Gebräuchen zu
unterweisen und falls nötig auch zu verwandeln.
Rotkäppchen war zu einer lebenslustigen jungen Frau
herangewachsen, die viele Blicke auf sich zog. Ein junger Mann erregte
besonders ihre Aufmerksamkeit. Er sah blendend aus, war gebildet, strahlte
vornehme Zurückhaltung aus und schien wohlhabend zu sein. Doch das war es
nicht, was sie an ihn so faszinierte. Sah sie in seine Augen, dann kribbelte es
an ihrem ganzen Körper bis in die Fußspitzen hinein. Kein Anderer übte solch
eine Wirkung auf sie aus, es war einfach unvergleichlich. Das Mädchen beschloss
den Blicken des wundersamen Mannes stand zu halten. Sah es darin die urwüchsige
Kraft eines verliebten Wolfes, oder den Zauber ihrer Jugend, keiner vermochte
es zu sagen. Jedenfalls konnte sie sich kaum von ihm lösen. Ergeben sank sie in
seine starken Arme, die ihr Schutz und Anerkennung verhießen. Ja, sie wollte
ihn heiraten und da ihre Eltern keine Einwände erhoben, wurde die Ehe sowohl im
Himmel, als auch in der Märchenwelt geschlossen.
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